Zum Inhalt springen

Obolus gegen Overtourism Die Eintrittsgebühr in Venedig erweist sich als Flop

Seit Ende April muss fünf Euro bezahlen, wer einen Tagestrip in die Lagunenstadt macht. Ein Kampf gegen Tourismusmassen – und gegen Windmühlen. Denn inzwischen zeigt sich: Praktisch niemand zahlt.

Rund 40’000 Touristen strömen täglich in die Lagunenstadt. In eine Stadt, in der nur noch rund 48’000 Bürger fest leben. Die Folge des massentouristischen Ansturms: Gassen und Plätze sind heillos überfüllt und Abfälle liegen überall.

Viele Menschen vor und auf der Rialto-Brücke in Venedig.
Legende: Attraktiv für Touristenschwärme: Venedig bleibt Touri-Magnet, mit allem Für und Wider. IMAGO / Independent Photo Agency Int.

Die Folge ist auch, dass sich die urbane Infrastruktur immer mehr auf Touristen einstellt. Einheimische ziehen weg und vermieten ihre Wohnungen an Touristen. Immer mehr Hotels, B&Bs, Lokale und Imbissbuden öffnen. Lokale Handwerker und Geschäfte machen dicht.

Der Touri-Sturm erfährt Gegenwind

Seit Jahren protestieren die Venezianer, aber auch private Kulturorganisationen wie der italienische «FAI», Kunsthistoriker und selbst die Weltkulturorganisation Unesco gegen die unübersehbaren Folgen des «Overtourism» in Venedig.

Eine Gondel vor eine Kreuzfahrtschiff in Venedig.
Legende: Der strapazierten Lagunenstadt droht der Verlust des Weltkulturerbe-Status. Die Anwohnenden könnte es freuen. KEYSTONE / GAETAN BALLY

Schliesslich ist das historische Zentrum Venedigs, also die gesamte Lagunenstadt, ein Weltkulturgut – und das bedeutet, dass die Stadtregierung sich entsprechend um dieses Kulturgut kümmern muss.

Im vergangenen Jahr drohte die Unesco sogar damit, Venedig von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen, wenn nicht endlich etwas konkret gegen die Folgen der touristischen Sintflut unternommen wird.

Die lokalen Behörden reagieren – «wegweisend»?

Bürgermeister Luigi Brugnaro hat die Drohungen der Unesco mitbekommen. Er hat deshalb die Routen der Kreuzfahrtschiffe, die bis vor wenigen Jahren noch dicht am Markusplatz vorbeifuhren, geändert. Ebenso hat er jüngst das umstrittene Eintrittsticket von fünf Euro für Eintagestouristen eingeführt. Vollmundig spricht er von «wegweisenden Massnahmen gegen den Massentourismus».

Aber Brugnaro ist ein Geschäftsmann und erklärter Freund des venezianischen Hotel- und Gaststättengewerbes. Seine Kritiker werfen ihm vor, nur mit halbherzigen Methoden gegen die Folgen des Massentourismus vorzugehen.

Eine ernüchternde Bilanz

Wer kontrolliert, ob die 40’000 Tagestouristen sich auch tatsächlich online anmelden und die fünf Euro entrichten? Anscheinend niemand. Journalisten fanden heraus, dass nur die wenigsten zahlen.

Ein Mann in gelber Warnweste gibt einer Gruppe Menschen Handzeichen.
Legende: Hier wird kontrolliert: Rund 90 Prozent aller Eintagesbesucher zahlen aber bisher nicht. Weil sie es vergessen – oder nicht wollen. IMAGO / Bihlmayerfotografie

Zum Thema «Zahlen»: Gratis dürfen auch weiterhin zahllose Bevölkerungsgruppen für nur einen Tag nach Venedig: Minderjährige und Lehrpersonal, Behinderte, Angestellte, die in Venedig arbeiten, Teilnehmer an Sportveranstaltungen etc.

Viele Venezianer sind gegen das Eintrittsgeld. Sie fühlen sich wie Bewohner eines Lunaparks und sind auch davon überzeugt, dass man mit Eintrittsgeldern nicht viel tun kann gegen den Massentourismus.

Massentourismus – Es bleiben viele Fragen

Doch was tun gegen den «Overtourism»? Ein Problem, unter dem auch Florenz, Rom, die Cinque Terre in Ligurien und das Chianti-Gebiet in der Toskana leiden.

«Overtourism» – wenn der Tourismus zur Falle wird

Box aufklappen Box zuklappen
Eine Gruppe von Personen vor einem Berglokal an einer Felswand.
Legende: Auch die Schweiz kennt das Phänomen: Touristenmagnete wie das Gasthaus „Äscher“ locken die Massen. KEYSTONE / GIAN EHRENZELLER

Der Begriff «Overtourism» beschreibt, wenn interessante Orte von einer übermässigen Anzahl von Touristen besucht werden. Das kann unerwünschte Auswirkungen auf die besuchten Orte haben – und damit auf die örtliche Bevölkerung, historische Güter und die natürlichen Ressourcen.

Soll man etwa einen Numerus Clausus für Touristen einführen? Oder sehr hohe Eintrittsgelder? Aber nach welchen Vorgaben soll entschieden werden, wer wo hin darf? Und warum sollen nur diejenigen nach Venedig, die viel Geld haben?

Fragen über Fragen, auf die niemand eine klare Antwort hat. Vor allem nicht jene Bürgermeister, die genau wissen, dass Touristenmassen viel Geld mitbringen, das sie in Hotels und Lokalen ausgeben, und das als Touristensteuer auch in die Stadtkassen fliesst.

Die Kultur-Highlights der Woche im Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Entdecken Sie Inspirationen, Geschichten und Trouvaillen aus der Welt der Kultur: jeden Sonntag, direkt in Ihr Postfach. Newsletter jetzt abonnieren .

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 16.05.2024, 7:06 Uhr.

Meistgelesene Artikel