Amsterdam, Luzern oder Venedig – früher haben sie um Reisegruppen gebuhlt. Heute sagen viele, sie werden überrannt.
So zum Beispiel auch Lauterbrunnen. Der Ort hat zwar nur rund 2300 Einwohnerinnen und Einwohner, aber dafür umso mehr Touristen. Sie kommen vor allem wegen des Staubbachfalles. Er ist einer der höchsten Wasserfälle der Schweiz – und auf Instagram ein grosser Hit.
Diesen Sommer wurde Lauterbrunnen praktisch überrannt . Die Einheimischen sind genervt. Die Gemeinde hat bereits reagiert und Schilder aufgestellt, die um Rücksicht bitten. Lauterbrunnen ist keine Ausnahme, sondern eines von mehreren Beispielen hierzulande.
Es stellt sich die Frage: Läuft etwas schief im Schweizer Tourismus? «Wenn man die Bevölkerung anschaut, dann sicher ja. Wenn man einige Souvenirshops fragt, dann wahrscheinlich nicht», sagt Jürg Stettler. Er ist Tourismusexperte an der Hochschule Luzern.
«Und das zeigt genau die Problematik, dass am Standort Lauterbrunnen zu einem gewissen Zeitpunkt oder häufig zu viele Touristen sind, die aus Sicht der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert werden. Insofern ja, es stimmt, dass es im Moment aus dem Ruder gelaufen ist», so Stettler.
Konflikt zwischen Gästen und Einheimischen
Overtourism heisst das Phänomen. Und daran sind eben auch die Touristikerinnen und Touristiker ein bisschen mitschuldig. Lange hat man beispielsweise in Asien gross Werbung gemacht für Schweizer Hotspots.
«Natürlich rächt sich das. Aber es ist auch eine Frage der Perspektive. Es gibt Touristiker, die sind der Meinung, wir hätten gar kein Overtourism-Problem und wenn, dann nur punktuell», erklärt Stettler. «Ich denke, da verkennt man die Problematik.»
Es geht um zwei Dinge, die sich im Kern widersprechen: Touristen bringen Geld, aber Touristen bringen eben auch Probleme.
Der ursprüngliche Segen von Social Media ist an gewissen Orten zu einem echten Problem geworden.
«Grundsätzlich ist eine zunehmende Zahl von Touristen aus ökonomischer Sicht auf den ersten Blick ja sehr erwünscht», meint Stettler. Social Media sei dafür auch ein gutes Instrument – gewesen. Die Touristen hätten nämlich die Vermarktung übernommen. Aber damit wurde auch die Kontrolle abgegeben: «Der ursprüngliche Segen von Social Media ist an gewissen Orten zu einem echten Problem geworden.»
Wie soll man künftig Touristenströme lenken?
Früher, mit dem Gruppentourismus, habe man mehr die Kontrolle zur Steuerung der Reisenden gehabt, ist der Tourismusexperte überzeugt. «Je mehr individuelle Reisende kommen, umso schwieriger wird es. Das sagen mir eigentlich die meisten touristischen Verantwortlichen.»
In Venedig wird ab dem nächsten Jahr teilweise eine Lenkungsabgabe in der Höhe von fünf Euro eingeführt. «Zuvor haben sie über mehrere Jahre verschiedene Dinge so halb ausprobiert und merken jetzt auch, es braucht eine Lenkung», erklärt Stettler. «Das wird noch nicht die grosse Wende sein», aber es werde helfen, die Einnahmen, die Akzeptanz und schliesslich die Lenkungswirkungen zu untersuchen.
Eine solche Lenkungsabgabe wird derzeit auch in Lauterbrunnen diskutiert. Gut möglich also, dass künftig Eintritt bezahlen muss, wer das Dorf der Wasserfälle sehen will.