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Erben – Ungerecht weil unverdient?
Aus Sternstunde Philosophie vom 05.12.2021.
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Philosophie des Erbens Ist Erben ungerecht, weil unverdient?

Wer erbt, kommt ohne eigene Leistung an Geld. Darüber, ob das gerecht ist, ist sich die Philosophie uneinig.

Der 28-jährigen Marlene Engelhorn steht ein wahrer Geldsegen bevor. Das Vermögen ihrer Grossmutter wird auf mehrere Milliarden geschätzt.

Die Germanistikstudentin dürfte einen zweistelligen Millionenbetrag erben. Doch anstatt sich auf ein bequemes Leben zu freuen, möchte die Österreicherin mindestens 90 Prozent des Geldes spenden.

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Millionenerbin Marlene Engelhorn: «Ich will teilen, radikal teilen.»
Aus Kultur Webvideos vom 05.12.2021.
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Zusammen mit anderen Superreichen hat Engelhorn die Initiative «Tax me now» ins Leben gerufen. Gemeinsam fordern sie eine deutlich höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften. So sollen diese wieder dort landen, wo sie herkommen: in der Gesellschaft.

Ein Erbe muss ich mir nicht erarbeiten.
Autor: Marlene Engelhorn Zukünftige Millionenerbin

Mit viel Geld würden grosse Macht und bessere Chancen einhergehen, sagt Engelhorn. «Ein Erbe muss ich mir nicht erarbeiten. Ich bekomme es geschenkt.» Das verstosse gegen das Leistungsprinzip und das Prinzip der Chancengleichheit, auf denen unsere Wirtschaft aufgebaut sei.

Eigentum bedeutet Freiheit

Der Unternehmer und Philosoph Ernst-Wilhelm Händler hält dagegen: Der Erblasser habe das Recht, sein Vermögen weiterzugeben. Keineswegs dürfe der Staat das Erbe konfiszieren. Das Recht auf Eigentum fundiere grundlegend die menschliche Freiheit.

Älterer Herr in Sakko mit Krawatte und Nadelstreifenhemd in Nahaufnahme
Legende: Verteidigt das Recht aufs Vererben: Der Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler. imago images

Der libertäre US-amerikanische Philosoph Robert Nozick (1938-2002) forderte sogar absolute Eigentumsrechte. Sofern nicht jede betroffene Person einer Steuer zustimme, begehe der Staat Diebstahl.

Händler betont die Risiken, die mit Vermögen einhergehen: «An allem, was in der Gesellschaft entsteht, sind sehr viele Leute beteiligt. Aber einige Menschen gehen signifikant mehr Risiken ein als andere.» Um das zu belohnen, müsse es erlaubt sein, Vermögen anzuhäufen und weiterzugeben.

Warum sollte es ein Prinzip der sozialen Gleichheit geben?
Autor: Ernst-Wilhelm Händler Unternehmer und Philosoph

Wenn Menschen ihre Talente ausspielen und sich dadurch besser stellen können, profitiere die Gesellschaft als Ganzes, argumentiert er. «Warum sollte es ein Prinzip der sozialen Gleichheit geben?»

Kein Recht am eigenen Vermächtnis?

Gelten Eigentumsrechte auch dann noch, wenn der Eigentümer bereits verstorben ist? Der italienische Philosoph Eugenio Rignano (1870-1930) war der Meinung, dass der Wille von Verstorbenen zu respektieren ist.

Doch über viele Generationen hinweg verblasse der Wunsch, den eigenen Kindern und Enkeln etwas zu vererben. Deshalb schlug er vor, Erbschaften umso höher zu besteuern, je älter das vererbte Vermögen ist.

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Château d’Auvernier: Familienerbe seit über 400 Jahren
Aus Kultur Webvideos vom 05.12.2021.
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Noch radikaler als Rignano argumentiert Philosophieprofessor Stefan Gosepath: Für ihn endet das Recht am eigenen Vermächtnis bereits mit dem Tod. Erbschaften sollten direkt an die Allgemeinheit fliessen und demokratischer Kontrolle unterstellt werden.

Konkret schlägt Gosepath vor, vererbtes Vermögen an Empfänger zu verteilen, die in einer demokratischen Abstimmung festgelegt werden. So übergebe man Erbschaften nicht einfach dem Staat, sondern lässt die Gesellschaft über ihre Aufteilung entscheiden.

Startkapital dank Erbschaftssteuern

Milton Friedman, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler (1912-2006), nannte die Verteilung von Geburtsprivilegien die «Lotterie des Lebens».

Demgegenüber verweist Gosepath auf das Prinzip der demokratischen Gleichheit. Grosses Kapital ermögliche oft zu grosse politische Macht.

Neugierig blickender Mann in Sakko ohne Krawatte
Legende: Möchte durch eine Erbschaftssteuer gleiche Bedingungen für alle schaffen: Der Ökonom Thomas Piketty. Getty Images/Eric Fougere

Thomas Piketty, französischer Ökonom und Ungleichheitsforscher, formuliert in seinem Buch «Kapital und Ideologie» (2020) einen Plan: Alle Menschen sollen zu ihrem 25. Geburtstag ein Startkapital in der Höhe von 120'000 Euro erhalten.

So könnten einfacher Bildungswege finanziert, Immobilien erworben und Firmen gegründet werden. Bezahlt würde das durch eine fünfprozentige Steuer auf die Erbmasse aller.

Erbschaften sind ein wahrer Zankapfel. Ob sie in der eigenen Familie bleiben oder an die Gesellschaft gehen – ihre gerechte Aufteilung bleibt umstritten.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 05.12.2021, 11:00 Uhr

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