Ethiker Markus Huppenbauer sieht einige Parallelen zwischen Gott und dem Internet. Dass die digitale Welt aber dasselbe leisten kann wie die Religion, daran zweifelt er.
SRF Kultur: Wer Gott und Internet in die Suchmaschine eingibt, erhält Dutzende von Treffern. Weshalb ist diese Parallele zwischen Gott und dem Internet so prominent?
Markus Huppenbauer: Auf den ersten Blick haben Gott und das Internet nichts miteinander zu tun. Schaut man aber genauer hin, dann sieht man gewisse Ähnlichkeiten, etwa beim Thema Allwissenheit.
Könnten Sie das noch etwas genauer erklären?
Ich beziehe mich dabei auf das Buch «Die Rückseite der Cloud» von Peter Seele und Lucas Zapf. Sie sagen: Heute gibt es so etwas wie eine immanente Allwissenheit. Unternehmen und Staaten sammeln Daten und Informationen. Es gibt immer weniger Räume, in denen wir wirklich privat sein können.
In gewisser Weise war das früher, in religiösen Zeiten, auch so. Der christliche Gott wusste alles und vor Gott gab es keine Privatheit. Es gibt allerdings relevante Unterschiede.
Welche?
Beim «lieben Gott» wussten die Menschen, woran sie waren. Es gab Regeln, an die er sich hielt. Und Gott, jedenfalls der christliche, war barmherzig, hat auch vergeben. Heute wissen wir oft nicht, wer die Akteure sind, welche Ziele sie verfolgen und wie sie uns gesonnen sind.
Helfen die Parallelen zwischen Gott und dem Internet uns, mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen?
Eher im Gegenteil. Das Internet ist als innovative Technologie zunächst einmal eine Kränkung für den christlichen Glauben.
Inwiefern?
Menschen waren immer schon mit vielen Unverfügbarkeiten konfrontiert (ein christliches Prinzip, dass das Leben in Gottes Hand liegt und deshalb vieles nicht durch die Menschen beeinflussbar ist, Anm. d. Red.). Also etwa Krankheiten, Umweltkatastrophen, Hunger. Der Glaube hat hier geholfen. Er war eine Art Versicherung, hat es den Menschen erlaubt, damit umzugehen.
In der heutigen Welt sind die herkömmlichen Unverfügbarkeiten durch mächtige Technologien zurückgedrängt worden. Gott ist sozusagen arbeitslos geworden. Allerdings haben wir durch unsere Technologien neue Unverfügbarkeiten geschaffen. Etwa im Bereich des Klimawandels oder in der undurchschaubaren Welt der Finanzen.
Und hat die Religion hier noch etwas zu sagen?
Die klassischen Religionen halfen den Menschen, Schicksalsschläge, Krankheiten, Hunger und das Sterben selbst zu akzeptieren. Dafür gab es Instrumente: Symbole, Geschichten, Rituale, Gebete.
Die Frage ist nun, ob diese Instrumente auch bei den neuen Herausforderungen nützen. Schliesslich kommen sie, wie im Falle des christlichen Glaubens, aus einer bäuerlichen, handwerklichen Welt und arbeiten mit Metaphern aus dieser vergangenen Zeit.
Nun gibt es gerade bei den Unternehmern im Silicon Valley die Idee, dass Mensch und Maschine verschmelzen und so Schmerz, Krankheit und Tod überwunden werden können.
Die meisten vernünftig denkenden Menschen sind dem gegenüber eher skeptisch. Und dennoch ist die Idee spannend. Denn es handelt sich um quasi religiöse Vorstellungen. Die Flucht ins All. Den Körper mit seinen Schmerzen und Hindernissen hinter sich lassen.
Das alles erinnert an klassische Bilder und Vorstellungen von der Überwindung der Sterblichkeit. Da kommt das alte Bedürfnis des Menschen nach Transzendenz und Unendlichkeit wieder zum Vorschein.
Also Digitalisierung als neue Religion?
Mit einigen Elementen aus der Welt der Religion, ja. Ob sie dann tatsächlich dasselbe leisten kann wie Religionen, da habe ich so meine Zweifel.
Das Gespräch führte Nicole Freudiger.