Ich weine nicht. Nein, ich werde für Roger Federer, der ja oft vor den Augen der Weltöffentlichkeit flennte, kein Tränchen verdrücken, bloss weil dieser Tennisriese in den Ruhestand geht, bevor er noch mehr Sätze gegen sogenannt «Kleine» zu null verliert wie den letzten, den er in seiner langen Karriere spielte, und das ausgerechnet in Wimbledon .
Ich bin froh, muss ich mir Federers Matches nicht mehr antun. Oder richtiger, nicht mehr nicht antun. Denn ich habe mir den «Maestro», diesen Mozart des Männertennis und vielleicht formvollendetsten Tennisspieler der jüngeren Jetzt-Zeit, seit Jahren nicht mehr live angeschaut.
Seit dem verlorenen US-Open-Finale 2009 gegen Juan Martin Del Potro lebte ich getreu dem Grundsatz: von Federer-Finals höchstens die Highlights. Und auch die nur, wenn klar ist, dass es am Ende keine Tränen gibt.
Mehr Zen denn Zwang
Es ist so paradox wie peinlich. Ich kann mich nicht satt sehen an Federers Spiel. Die famose Vorhand! Die berückende Rückhand! Die wunderbaren Volleys! Vermutlich, weil es immer vor allem Spiel war, wie Dominique Eigenmann in seinem Buch «Phänomen Federer» schreibt.
Selbstvergessenes Sein – ohne jedes Ziel und jeden Zweck: Es war mehr Zen denn Zwang, wenn unser Halbgott in Weiss einen verlorenen Ball ins Feld des Gegners zurück zauberte. Unerreichbar und unerreicht – als gäbe es nur die Schönheit und keine Schwerkraft.
Viel Schönheit und ein Schatten
Die unendliche Federerleichtigkeit: Es waren diese ekstatischen Augenblicke, sie waren in seinen Spielen eher Alltag als Ausnahme, die der US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace in einem oft zitierten Essay, den ich wie alle nie gelesen habe, zu einer «religiösen Erfahrung» überhöhte, die Federer selbst ein wenig unangenehm war. «Am Ende des Tages», gestand er dem «New Yorker» einmal, «spiele ich doch nur Tennis.»
Man hat Roger Federer auch schlagen können – weniger auf dem Platz, aber daneben. Weil er Unsummen an Sponsorengeldern verdiente, die auch aus den Kassen von Grossbanken stammten. Weil er so apolitisch durch sein Leben ging. Roger Federer, so der Vorwurf seiner Feinde, hätte mehr sein können als «nur» ein Tennisspieler.
Federer war ein Weltstar, den die Welt liebte. Aber das Wohl der Welt schien ihm ein wenig egal – trotz einer Stiftung für Kinder in Afrika, für die er auch mal an der Seite von Bill Gates Geld generierte. Wenn es schwierig wurde, schwieg der sonst so perfekt Polyglotte.
Das Monster, das er schuf
Mein Problem mit Roger Federer war immer nur: Ich konnte ihn nicht verlieren sehen. Seine Spiele nicht zu schauen, war ja erst der Anfang. Wie oft habe ich nach wichtigen Finals versucht, gar nicht erst mitzukriegen, wie sie ausgegangen waren?
Federer selbst bezeichnete sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere einmal als ein Monster, von dem man erwarte, dass es immer gewinne. Es war monströser: Jede von Federers Niederlagen fühlte sich an wie ein kleiner Weltuntergang, wie der Hochverrat an der hehren Idee, das Schöne schlage das Schlechte. Und besiegte Federer nicht fast alle – einschliesslich des Alters?
Für immer unschlagbar
Roger Federer mag den richtigen Moment für den Abgang verpasst haben, den Normalsterbliche für einen letzten grossen Sieg halten, den Federer selbst zu lange für möglich gehalten haben muss. Dafür hat uns ein Überirdischer an seiner Menschwerdung teilhaben lassen. Federer hat oft verloren zuletzt. Zu oft. Es reichte langsam, es begann wehzutun. Aber war es nicht auch ein Gewinn zu sehen, dass ein Tennis-Magier sich selbst entzauberte?
Nach seinem letzten Spiel, es endete mit der bitteren Dreisatz-Niederlage gegen einen besseren Nobody aus Polen, sagte der frühere «Tennisschläger» und heutiger TV-Kommentator John McEnroe: «Wir haben uns immer gefragt, wann Federer aufwacht und merkt, er ist 39. Heute ist dieser Tag.» Heute ist der Tag vor dem Tag, an dem wir aufgewacht sind und wissen: Roger Federer wird für immer unschlagbar sein.
Wir werden also nicht weinen. Und wenn, dann Tränen der Erleichterung.