Als Erstes sticht der Müll ins Auge. Ein endloser Teppich aus Plastik, Papier und Unrat bedeckt den Boden und federt weich beim Gehen. Abete Ojora, ein Stadtteil von Lagos, ist tatsächlich auf Müll gebaut. Das Land, auf dem der Slum steht, wurde durch die Aufschüttung von Müll und Sand gewonnen. Wie in allen Slumgebieten in Lagos gibt es hier kaum Infrastruktur, keine Kanalisation und keinen öffentlichen Zugang zu Trinkwasser.
Stadtplanung? Fehlanzeige!
«Die Menschen in den Slums werden von den Behörden bestenfalls ignoriert und schlimmstenfalls vertrieben», sagt Fabienne Hoelzel. Fehlende Stadtplanung sei ein Hauptproblem hier – deshalb habe sie ihre NGO «Fabulous Urban» gegründet. Seit 13 Jahren arbeitet sie mehrere Male pro Jahr in Lagos mit ihrem lokalen Mitarbeiter. Sichere Behausungen und die Verteilung von Toiletten stehen im Zentrum.
«Toiletten sind eine Frage der Hygiene, des Umweltschutzes und letztlich der Menschenwürde», sagt Hoelzel. Und auch eine Frage der Sicherheit, vor allem für Frauen. «Für Frauen sind Toiletten noch etwas wichtiger als für Männer. Wenn Frauen ihre Notdurft ausserhalb ihrer vier Wände verrichten müssen, sind sie schutzlos und sexueller Belästigung ausgesetzt, bis hin zur Vergewaltigung.»
Für Alice Akinde ist es ein grosser Tag, als sie eine eigene Toilette von «Fabulous Urban» bekommt. Akinde ist 65 Jahre alt und lebt im Slum Abete Ojora, wo sie von allen Mama Ojora gerufen wird, auch von Fabienne Hoelzel.
Die beiden unterschiedlichen Frauen kennen und schätzen sich schon lange: «Mama Ojora hat mir viel aus ihrem bewegten Leben erzählt», sagt Fabienne Hoelzel, «von ihr habe ich gelernt, was Widerstandsfähigkeit heisst.»
Die Trockentrenntoilette
Die Toilette wird direkt neben dem Backsteinhäuschen von Mama Ojora montiert. Es ist eine mobile Trockentrenntoilette. Mobil, weil Slumbewohner und -bewohnerinnen immer wieder vertrieben werden und deshalb ihr Hab und Gut transportabel sein muss. Und Trockentrenntoilette, weil es kein Spülwasser braucht und weil Urin und Kot getrennt aufgefangen werden, damit es nicht zur Geruchsbildung kommt.
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Bild 1 von 7. Simpel, aber effektiv: die Trockentrenntoilette nach dem Bausatz von Fabienne Hoelzel. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 7. Die Toilettenschüssel wurde von einem Industrial Designer an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart entworfen, zusammengesetzt werden die Teile vor Ort. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 7. Das Kernstück mit zwei Kammern besteht aus widerstandsfähigem Material, welches auch für Flugzeugtoiletten verwendet wird. Für Hoelzel war auch ein schickes Design wichtig, da der Toilettengang oft tabubehaftet ist. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 7. Die Bedienungsanleitung steht auf der Plane – und bleibt so immer präsent. Bildquelle: SRF.
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Bild 5 von 7. Die Fäkalien werden mit Sägemehl oder Asche bestreut. Durch die Trennung der Ausscheidungen entsteht kein übler Geruch. Bildquelle: SRF.
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Bild 6 von 7. Die Ausscheidungen werden in Kanistern aufgefangen, kompostiert und später als Dünger verwendet. Bildquelle: SRF.
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Bild 7 von 7. Mit den mobilen Toiletten will Hoelzel gegen das grassierende Problem der Notdurft im Freien ankämpfen, denn viele gesundheitliche Probleme sind damit verbunden. Bildquelle: SRF.
Den Bausatz hat Fabienne Hoelzel zusammen mit einem Industrie-Designer entwickelt. Alle Teile sind günstig, leicht erhältlich und vorgefertigt, der Aufbau geht schnell.
Ein Tropfen auf den heissen Stein
Noch sind es nicht mehr als etwa 50 solcher Trockentrenntoiletten, die «Fabulous Urban» in den Slums von Lagos platziert hat. «Wir arbeiten langsam», erklärt Fabienne Hoelzel. «Wir haben viele Interessenten, aber wir prüfen individuell, ob es einen passenden Platz hat und der Unterhalt der Toilette gewährleistet ist. Dann erst montieren wir die Toiletten und modifizieren sie je nach den Bedürfnissen der Benutzenden, bis wirklich alles passt.»
Diese 50 Toiletten sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Angesichts der strukturellen und gesellschaftlichen Probleme braucht es viel Durchhaltewillen, doch daran mangelt es Hoelzel nicht: «Wenn ich dank meines Fachwissens als Stadtplanerin dazu beitragen kann, dass das Leben hier besser wird, dann lohnt es sich doch.»
Bereits kommen Anfragen nach ihren Toiletten aus anderen Städten Nigerias. Und ihre NGO hat soeben Mittel von einer Schweizer Stiftung bekommen, um auch in Kenia Toiletten aufstellen zu können. Es tut sich also etwas – langsam, aber stetig.