Es sind brettharte Gitarrenriffs, die an einem Sonntagnachmittag im November aus dem Soho Club im oberaargauischen Wiedlisbach erklingen. Eine ungewohnte Zeit für ein Metal-Konzert. Noch ungewohnter ist aber, was der Frontmann singt: «Zäme wei mer ihn lobe und prise, Hallelujah.»
Das ist nun nicht exakt das, was man an einem Metal-Konzert erwarten würde. Allerdings handelt es sich bei der Veranstaltung auch nicht um ein gewöhnliches Konzert, sondern um einen Metal-Gottesdienst. An den grossen Holztischen sitzen Metalfans in «Chutten» (Gilets mit Bandaufnähern), Lederjacken und Nieten. Einige gönnen sich einen Humpen Bier zum Gottesdienst.
Sowohl die Kirche als auch die Metalheads seien anfänglich nicht begeistert gewesen, als er begonnen habe, Metal-Gottesdienste zu veranstalten, erklärt Pfarrer Samuel Hug. Das ist nachvollziehbar, zumal die Beziehung von Metal und Religion lange Zeit eine schwierige war.
«Schwarzer Schabbat» und «Lamm Gottes»
Ende der 1960er-Jahre erklang im englischen Birmingham zum ersten Mal ein Sound, der später den Namen Heavy Metal verpasst bekam. Der Name der Pionierband macht deutlich, dass Religiöses im Metal von Anfang an eine zentrale Rolle spielte: Black Sabbath.
Der Begriff «Schabbat» stammt aus dem Judentum und bezeichnet den siebten Tag der Schöpfung, an dem geruht werden soll. Seine Einhaltung ist eins der Zehn Gebote.
Bis heute bedienen sich viele Metalbands für die Namensgebung bei christlichen Mythen: Judas Priest, Lamb of God, Exodus, Testament, um nur ein paar wenige zu nennen. Auch in den Songs sind christliche Figuren, Geschichten und Metaphern omnipräsent. Selbst der viel zitierte Satan ist eine biblische Figur: ein Engel, der von Gott aus dem Himmel gekickt wurde.
Grosses Bombast-Kino
Die Faszination des Metals für Religiöses ist vielschichtig. Zum einen war Metal in den Anfängen die Musik derjenigen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen wollten. Religionskritik war ein zentrales Element dieser Abgrenzung.
Gleichzeitig lieferte die Bibel mit ihrer Sprache und den teilweise bombastischen Szenarien die perfekte Vorlage, um sich daran zu bedienen.
«Heavy Metal funktioniert wie eine gotische Kathedrale. Beide sind verführerisch, beeindruckend, gewaltig und farbenprächtig und bieten so eine Gegenwelt, in die man sich flüchten kann», erklärt Jörg Scheller. Er ist Professor für Kunstgeschichte und hat ein Buch über die Entwicklung des Heavy Metals geschrieben.
Direkter Draht zu Beelzebub
Die bürgerlich-konservative Gesellschaft der 80er- und 90er-Jahre tat sich mit Metal schwer. Vor allem in den USA ging es während der sogenannten «Satanic Panic» hoch zu und her. Damit wird eine Zeit der Massenhysterie bezeichnet, während der hinter allem und jedem der Teufel vermutete wurde.
So galt etwa das Brettspiel Dungeons & Dragons, das jüngst durch die Serie «Stranger Things» ein Revival erlebte, als direkter Draht zum Teufel. Hauptverdächtiger war aber der Heavy Metal. Diese neue, laute und schnelle Art von Musik klang in den Ohren vieler teuflisch. Es kam zu mehreren Gerichtsverhandlungen gegen Metalbands.
So musste etwa 1990 die Band Judas Priest im Gerichtssaal wegen angeblichen versteckten Nachrichten Rede und Antwort stehen, die sich beim Rückwärtshören ihrer Songs hören liessen. Diese Botschaften hätten zwei Jugendliche zum Selbstmord animiert, so die Anklage. Der Prozess endete mit einem Freispruch.
Satan sells
Die letzte grosse Kontroverse um «Teufelsmusik» fand 2001 statt. Entsetzte Christen und alarmierte Mütter warfen «Schockrocker» Marilyn Manson vor, dass sein Album «Antichrist Superstar» Auslöser für den Amoklauf an der Columbine High School gewesen sei.
Manson zeigte sich erstaunt über die Schuldzuweisung. In dem Fall werde er beim nächsten Konzert aus der Bibel vorlesen, kündigte er an. Dort kämen schliesslich auch Mord, Kinderopfer und Selbstmord vor.
Verteufelung auf der einen und Provokation auf der anderen Seite brachten Nachteile mit sich, aber auch einen gewichtigen Vorteil: Der Flirt mit dem Teufel war werbewirksam. Er machte Manson und Co. noch bekannter und sorgte dafür, dass deren Kassen klingelten. Ernsthafter Satanismus dürfte in den allerwenigsten Fällen dahintergesteckt haben.
Mehr als nur Marketing
Zurück in den Metal-Gottsdienst in Wiedlisbach. An diesem Sonntag sind auch mehrere Mitglieder des Kirchenrates anwesend. Schliesslich tritt heute der erste offizielle Metal-Pfarrer der Schweiz sein Amt an.
Ein Marketinggag, um die leeren Kirchenbänke zu füllen? «Wir wären schon längst aufgeflogen, wenn wir es nicht ernst meinen würden», sagt der frisch gebackene Metal-Pfarrer Samuel Hug.
Der 41-Jährige begann bereits vor zehn Jahren aus Eigeninitiative Metal-Gottesdienste zu veranstalten, quasi als Hobby. «Metal ist die Musik, die mein Herz bewegt. Gleichzeitig ist da der Glaube an Jesus Christus, der meinem Leben Halt gibt», begründet er sein Engagement.
Kampf um die Deutungshoheit
Die reformierte Kirche sei anfänglich skeptisch gewesen, erzählt Samuel Hug. Ein Kritikpunkt: Metal habe sich immer gegen Religion gewehrt. Wenn man diese Art von Musik in Gottesdiensten einsetze, vereinnahme man etwas, was sich im Kern gegen einen selbst richte.
Samuel Hug ist der Meinung, dass Metal nicht auf die Funktion der Religionskritik reduziert werden dürfe. «Wir leben heute in einer postmodernen Gesellschaft, in der die Kirche ihre frühere Deutungshoheit verloren hat.»
Gleichzeitig heisse das aber auch, dass kein Metalfan für andere bestimmen könne, was Metal sein dürfe oder nicht. «Das muss immer neu verhandelt werden. Meiner Meinung nach ist Metal für unterschiedliche kulturelle Strömungen offen.»
Metal für den Mainstream
Die Kirche hat nicht nur ihre Deutungshoheit verloren. Dadurch, dass ihr die Schäfchen reihenweise davongaloppieren, hat sie auch an Macht eingebüsst. Entsprechend eignet sie sich auch nicht mehr als Hauptfeind für den Metal. Gleich wie in unserer Gesellschaft seien auch die Feindbilder im Metal vielzählig geworden, sagt Kunsthistoriker Jörg Scheller.
Als einzig verbindendes Element sieht er allenfalls noch die Kritik an der Mainstream-Gesellschaft. Doch mittlerweile sind Metalfans selbst Teil davon.
Das zeigt auch ein Augenschein beim Konzert der Band Iron Maiden im Juni im Hallenstadion in Zürich: Grosseltern mit ihren Grosskindern sind da, Rechtsanwältinnen, Informatiker, Managerinnen, Büezer … Metal ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Heavy Metal als Religions-Archiv
Während sich Metal und Religion früher noch die Köpfe einschlugen – bildhaft gesprochen – wirken sie heute wie ein altes Ehepaar. Nach einer leidenschaftlichen und hitzigen Phase hat man sich arrangiert und möchte nicht mehr ohne den anderen. Oder kann vielleicht auch gar nicht mehr ohne einander.
Jörg Scheller stellt in seinem Buch die These auf, dass Metal mithelfe, die christliche Religion am Leben zu erhalten. «Auf Metal-Konzerten sieht man Kreuze und Bands, die Judas Priest heissen. Das heisst, man ist voll in der religiösen Mythologie und Symbolik drin.»
Heavy Metal sei ein lebendiges, kritisches Archiv der Religion. «In einer Zeit, in der Kirchenbänke immer leerer werden, muss die christliche Religion dem Metal wirklich dankbar sein.»