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Schweizer Metal-Gottesdienst Himmlischer Heavy Metal: Was Gitarrenriffs und Glaube verbindet

Die Beziehung von Heavy Metal und Religion war lange Zeit schwierig. Dabei haben die beiden mehr Gemeinsamkeiten als gedacht. Der erste Metal-Pfarrer der Schweiz kennt die Gründe.

Es sind brettharte Gitarrenriffs, die an einem Sonntagnachmittag im November aus dem Soho Club im oberaargauischen Wiedlisbach erklingen. Eine ungewohnte Zeit für ein Metal-Konzert. Noch ungewohnter ist aber, was der Frontmann singt: «Zäme wei mer ihn lobe und prise, Hallelujah.»

Das ist nun nicht exakt das, was man an einem Metal-Konzert erwarten würde. Allerdings handelt es sich bei der Veranstaltung auch nicht um ein gewöhnliches Konzert, sondern um einen Metal-Gottesdienst. An den grossen Holztischen sitzen Metalfans in «Chutten» (Gilets mit Bandaufnähern), Lederjacken und Nieten. Einige gönnen sich einen Humpen Bier zum Gottesdienst.

dunkler Raum, vorne beleuchtete Bühne mit drei Typen mit E-Gitarre und Bass. Vorne Menschen, sitzend.
Legende: «Heavy Sanctum» nennt sich der Metal-Gottesdienst mit Konzert. Im Metal würden sich viele Menschen ernsthaft und tiefgründig mit dem Leben und dem Glauben auseinandersetzen, argumentiert die Metalchurch. Metalchurch

Sowohl die Kirche als auch die Metalheads seien anfänglich nicht begeistert gewesen, als er begonnen habe, Metal-Gottesdienste zu veranstalten, erklärt Pfarrer Samuel Hug. Das ist nachvollziehbar, zumal die Beziehung von Metal und Religion lange Zeit eine schwierige war.

«Schwarzer Schabbat» und «Lamm Gottes»

Ende der 1960er-Jahre erklang im englischen Birmingham zum ersten Mal ein Sound, der später den Namen Heavy Metal verpasst bekam. Der Name der Pionierband macht deutlich, dass Religiöses im Metal von Anfang an eine zentrale Rolle spielte: Black Sabbath.

Der Begriff «Schabbat» stammt aus dem Judentum und bezeichnet den siebten Tag der Schöpfung, an dem geruht werden soll. Seine Einhaltung ist eins der Zehn Gebote.

Schwarzweiss-Foto: Rechts ein Mann mit langen Haaren, Hände in der Luft, Zotteln an den Ärmeln. Hinten zwei Männer
Legende: Krachende Riffs, kreischende Vocals: Black Sabbath (hier 1975) mit Sänger Ozzy Osbourne. Getty Images/Jorgen Angel

Bis heute bedienen sich viele Metalbands für die Namensgebung bei christlichen Mythen: Judas Priest, Lamb of God, Exodus, Testament, um nur ein paar wenige zu nennen. Auch in den Songs sind christliche Figuren, Geschichten und Metaphern omnipräsent. Selbst der viel zitierte Satan ist eine biblische Figur: ein Engel, der von Gott aus dem Himmel gekickt wurde.

Grosses Bombast-Kino

Die Faszination des Metals für Religiöses ist vielschichtig. Zum einen war Metal in den Anfängen die Musik derjenigen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen wollten. Religionskritik war ein zentrales Element dieser Abgrenzung.

Sänger mi Totenkopf-Schmink und Priestergewand mit umgedrehtem Kreuz
Legende: Provokantes Spiel mit religiöser Symbolik: Die Mitglieder der schwedischen Heavy-Metal-Band Ghost gewanden sich gerne priesterlich. Der Sänger tritt dabei unter dem Namen «Papa Emeritus» auf. Getty Images/Burak Cingi/Redferns

Gleichzeitig lieferte die Bibel mit ihrer Sprache und den teilweise bombastischen Szenarien die perfekte Vorlage, um sich daran zu bedienen.

«Heavy Metal funktioniert wie eine gotische Kathedrale. Beide sind verführerisch, beeindruckend, gewaltig und farbenprächtig und bieten so eine Gegenwelt, in die man sich flüchten kann», erklärt Jörg Scheller. Er ist Professor für Kunstgeschichte und hat ein Buch über die Entwicklung des Heavy Metals geschrieben.

Direkter Draht zu Beelzebub

Die bürgerlich-konservative Gesellschaft der 80er- und 90er-Jahre tat sich mit Metal schwer. Vor allem in den USA ging es während der sogenannten «Satanic Panic» hoch zu und her. Damit wird eine Zeit der Massenhysterie bezeichnet, während der hinter allem und jedem der Teufel vermutete wurde.

So galt etwa das Brettspiel Dungeons & Dragons, das jüngst durch die Serie «Stranger Things» ein Revival erlebte, als direkter Draht zum Teufel. Hauptverdächtiger war aber der Heavy Metal. Diese neue, laute und schnelle Art von Musik klang in den Ohren vieler teuflisch. Es kam zu mehreren Gerichtsverhandlungen gegen Metalbands.

So musste etwa 1990 die Band Judas Priest im Gerichtssaal wegen angeblichen versteckten Nachrichten Rede und Antwort stehen, die sich beim Rückwärtshören ihrer Songs hören liessen. Diese Botschaften hätten zwei Jugendliche zum Selbstmord animiert, so die Anklage. Der Prozess endete mit einem Freispruch.

Satan sells

Die letzte grosse Kontroverse um «Teufelsmusik» fand 2001 statt. Entsetzte Christen und alarmierte Mütter warfen «Schockrocker» Marilyn Manson vor, dass sein Album «Antichrist Superstar» Auslöser für den Amoklauf an der Columbine High School gewesen sei.

Manson zeigte sich erstaunt über die Schuldzuweisung. In dem Fall werde er beim nächsten Konzert aus der Bibel vorlesen, kündigte er an. Dort kämen schliesslich auch Mord, Kinderopfer und Selbstmord vor.

Mann mit rechts einem Milchigen Auge, geschminkt, schwarze Haare, Nieten-Ärmel, nackter Oberkörper.
Legende: Marilyn Manson (hier 1999 in Berlin) spielt gerne mit dem Image, Satanismus zu praktizieren. IMAGO Images/POP-EYE

Verteufelung auf der einen und Provokation auf der anderen Seite brachten Nachteile mit sich, aber auch einen gewichtigen Vorteil: Der Flirt mit dem Teufel war werbewirksam. Er machte Manson und Co. noch bekannter und sorgte dafür, dass deren Kassen klingelten. Ernsthafter Satanismus dürfte in den allerwenigsten Fällen dahintergesteckt haben.

Mehr als nur Marketing

Zurück in den Metal-Gottsdienst in Wiedlisbach. An diesem Sonntag sind auch mehrere Mitglieder des Kirchenrates anwesend. Schliesslich tritt heute der erste offizielle Metal-Pfarrer der Schweiz sein Amt an.

Ein Marketinggag, um die leeren Kirchenbänke zu füllen? «Wir wären schon längst aufgeflogen, wenn wir es nicht ernst meinen würden», sagt der frisch gebackene Metal-Pfarrer Samuel Hug.

Der 41-Jährige begann bereits vor zehn Jahren aus Eigeninitiative Metal-Gottesdienste zu veranstalten, quasi als Hobby. «Metal ist die Musik, die mein Herz bewegt. Gleichzeitig ist da der Glaube an Jesus Christus, der meinem Leben Halt gibt», begründet er sein Engagement.

Kampf um die Deutungshoheit

Die reformierte Kirche sei anfänglich skeptisch gewesen, erzählt Samuel Hug. Ein Kritikpunkt: Metal habe sich immer gegen Religion gewehrt. Wenn man diese Art von Musik in Gottesdiensten einsetze, vereinnahme man etwas, was sich im Kern gegen einen selbst richte.

Mann mit Glatze, Brille und Jacke mit verschiedenen Stickern und Pins. Rechts Mikrofon.
Legende: Metalfan Samuel Hug ist der wohl erste Pfarrer der Schweiz, der nicht für eine regionale Gemeinde, sondern eine Szene predigt. Samuel Hug

Samuel Hug ist der Meinung, dass Metal nicht auf die Funktion der Religionskritik reduziert werden dürfe. «Wir leben heute in einer postmodernen Gesellschaft, in der die Kirche ihre frühere Deutungshoheit verloren hat.»

Gleichzeitig heisse das aber auch, dass kein Metalfan für andere bestimmen könne, was Metal sein dürfe oder nicht. «Das muss immer neu verhandelt werden. Meiner Meinung nach ist Metal für unterschiedliche kulturelle Strömungen offen.»

Metal für den Mainstream

Die Kirche hat nicht nur ihre Deutungshoheit verloren. Dadurch, dass ihr die Schäfchen reihenweise davongaloppieren, hat sie auch an Macht eingebüsst. Entsprechend eignet sie sich auch nicht mehr als Hauptfeind für den Metal. Gleich wie in unserer Gesellschaft seien auch die Feindbilder im Metal vielzählig geworden, sagt Kunsthistoriker Jörg Scheller.

Als einzig verbindendes Element sieht er allenfalls noch die Kritik an der Mainstream-Gesellschaft. Doch mittlerweile sind Metalfans selbst Teil davon.

Das zeigt auch ein Augenschein beim Konzert der Band Iron Maiden im Juni im Hallenstadion in Zürich: Grosseltern mit ihren Grosskindern sind da, Rechtsanwältinnen, Informatiker, Managerinnen, Büezer … Metal ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Heavy Metal als Religions-Archiv

Während sich Metal und Religion früher noch die Köpfe einschlugen – bildhaft gesprochen – wirken sie heute wie ein altes Ehepaar. Nach einer leidenschaftlichen und hitzigen Phase hat man sich arrangiert und möchte nicht mehr ohne den anderen. Oder kann vielleicht auch gar nicht mehr ohne einander.

Jörg Scheller stellt in seinem Buch die These auf, dass Metal mithelfe, die christliche Religion am Leben zu erhalten. «Auf Metal-Konzerten sieht man Kreuze und Bands, die Judas Priest heissen. Das heisst, man ist voll in der religiösen Mythologie und Symbolik drin.»

Buchhinweis

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Jörg Scheller: «Metalmorphosen. Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal». Franz Steiner Verlag, 2020.

Heavy Metal sei ein lebendiges, kritisches Archiv der Religion. «In einer Zeit, in der Kirchenbänke immer leerer werden, muss die christliche Religion dem Metal wirklich dankbar sein.»

SRF 3, Sounds Story, 15.12.2022, 20:03 Uhr

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