Schliessen Sie für einen Moment die Augen, blenden Sie Ihre Umgebung und alle Äusserlichkeiten aus. Was bleibt? Ihr Bewusstsein, das Wissen, «Ich» zu sein.
«Ich denke, also bin ich», formulierte bereits der französische Philosoph Descartes, selbst im grössten Zweifel beweist das «Ich» seine Existenz. Doch was ist das Bewusstsein genau, und woher wissen wir, dass unser Bewusstsein nur «uns» gehört?
Zwischen Materie und Geist
Der Bewusstseinsforscher Christof Koch beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Leib-Seele-Problem. Grundsätzlich streiten sich drei Lager um die ungelöste Frage, wie geistige Phänomene zu physischen Vorgängen im Körper stehen.
Die Dualistinnen sehen Geist und Materie als getrennte Substanzen. Physikalisten deklarieren das Bewusstsein als blosses Beiprodukt des Gehirns. Im Panpsychismus wird von einer kosmischen Seele ausgegangen, die die gesamte Welt – selbst Steine – bewohnt.
Koch bietet eine vielschichtige Erklärung an und beschreibt Bewusstsein als «eine kausale Kraft, die das System auf sich selbst ausübt, um seinen nächsten Zustand zu bestimmen.» Es bildet sich durch physikalische Prozesse, besitzt aber eine eigene Qualität. Ist ein System komplex genug, entsteht «Qualia» – subjektives Erleben.
Wirbel im Fluss
Individuelles Bewusstsein, so erklärt Koch, müsse man sich wie einen Wirbel im Fluss vorstellen. Stirbt ein Mensch, löst sich der Wirbel auf, das «Ich» kehrt zurück ins strömende Gewässer. Ein Bild, das suggeriert, es gäbe ein grösseres Ganzes, eine Art göttliche Weltseele?
So abwegig ist diese Annahme nicht. Viele von uns kennen Momente der Ich-Auflösung: in Anbetracht einer überwältigenden Berglandschaft, in Trance auf der Tanzfläche, wenn Körper und Musik eins werden.
Koch erlebte eine radikalere Variante – durch die Einnahme von 5-MeO-DMT, dem starken Halluzinogen aus dem giftigen Sekret der Bufo alvarius-Kröte, das bei spirituellen Ritualen der indigenen Bevölkerung Mexikos verwendet wird. Koch vergleicht die Erfahrung mit einer Nahtoderfahrung: «Da war kein Christof mehr, keine Stimme im Kopf. Nur Licht, Terror und Ekstase.»
Ein Beweis also für eine kosmische Seele, oder ein Leben nach dem Tod? Koch relativiert, zwar habe diese Annahme etwas Tröstliches. Während des Trips fühle es sich so an, als würde man in die Weltseele aufgelöst. Es handle sich aber um eine empirisch erklärbare Extremsituation: «Alles spielt sich im Geist ab, darin liegt nichts Übernatürliches. Stirbt der Mensch, verschwindet auch das Bewusstsein.»
Bewusste KI?
Zwar gibt es «keine Seele, die Gott in uns hineinlegt». Weil Bewusstsein für Koch jedoch entsteht, wenn bestimmte materielle Bedingungen erfüllt sind und ein System komplex genug ist, könne es an anderem unerwartetem Ort hervorgebracht werden: Technologien wie neuromorphe Chips könnten es künftig ermöglichen, Bewusstsein nicht nur zu simulieren, sondern in der KI tatsächlich ein Bewusstsein mit Ich-Gefühl entstehen zu lassen.
Noch ist man davon weit entfernt. Denn: «Konkret wissen wir immer noch nicht, welche Neuronen aktiv sind, wenn man bewusst ist.» Die Frage, wie Bewusstsein entsteht, lässt sich also nicht abschliessend klären: wohl eines der grössten Geheimnisse der Menschheit.