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Philosophisch durch den Alltag Mit Drogen zur Ekstase: Was suchen wir im Rausch?

Trotz Risiken sehnen wir uns nach rauschhaften Erlebnissen – wohl auch, weil wir uns unserer Endlichkeit bewusst sind.

Allenthalben werden diese Zeiten mit den Goldenen Zwanzigern verglichen: Die Corona-Pandemie fordert(e) soviel Zurückhaltung, An- und Abstand, soviel Stay-At-Home, dass die Menschen nun durstig sind nach Formen des Heraustretens aus diesem Zustand, der Ekstase, dem Rausch.

In Zürich etwa stehen die Partyhungrigen nicht nur an den wieder eröffneten Clubs Schlange, sondern vorher an Testcentern, um einen Antigentest zu machen, der Voraussetzung ist, um Zugang zu den Tanztempeln zu erlangen.

Susanne Schmetkamp

Philosophin

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Susanne Schmetkamp (geb. 1977) ist promovierte Philosophin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Zürich. Sie ist Assistenzprofessorin an der Universität Fribourg und leitet dort das Forschungsprojekt «Aesthetics and Ethics of Attention». Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählt das Buch «Theorien der Empathie» (Junius, 2019).

Faszination gepaart mit Furcht

Der Rausch oder die Ekstase werden aber nicht erst oder nur in Clubs gesucht; sie scheinen vielmehr zur Conditio Humana, zu dem, was uns zu Menschen und das Leben lebenswert macht, dazuzugehören: spirituelle, religiöse, ästhetische, sportive, rituelle, alkoholische oder anders substanzinduzierte Ekstasen sind in allen Kulturen und zu wohl allen Zeiten gesucht und gefunden worden.

Zugleich aber scheint heute eine tiefe Furcht vor diesen Erfahrungen zu bestehen. Insbesondere postindustrielle Gesellschaften werden sowohl als Vergnügungs- als auch als Verbotsgesellschaft, als grenzüberschreitend wie als kontrollsüchtig definiert. Der Sehnsucht nach Rausch hängt darum um so mehr etwas zutiefst Ambivalentes an, nicht zuletzt, weil viele Rauschsubstanzen süchtig machen können.

Illustration einer Figur, die in der Hand eine Pille hält und mit farbigen Ringen um die Augen übermässig stark lacht.
Legende: Die temporale Entgrenzung: Drogen erlauben es, sich für einen Moment von festgefahrenen Sichtweisen zu lösen. SRF / Sandra Bayer

Drogen für Partys – und Patienten

In den vergangenen Jahren haben psychedelische Drogen aber einen neuen Trend erfahren: «Magische Pilze» bzw. deren Wirkstoff Psilocybin, LSD und MDMA (das in der Partydroge Ecstacy enthalten ist) sowie DMT (dem Wirkstoff, der sich in der Ayahuasca-Pflanze findet) werden nicht nur in Freizeit und Party konsumiert. Sie werden auch in der Forschung zur Behandlung von Angst, Krebs, Depression und Posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt.

Aus dem Normalzustand heraustreten

Die Ekstase mit ihrem griechischen Verbursprung existánai bedeutet «etwas in einen anderen als den gewöhnlichen Zustand versetzen». Phänomenologisch sind intensive Erfahrungen von Gegenwart und Transzendenz verbunden, es können kathartische und transformative Effekte entstehen.

Denn wer aus sich herausgeht, tritt aus dem Normalzustand (der Norm) heraus und wechselt damit die Perspektiven. Man löst sich für einen Moment von der eigenen Standortgebundenheit und den Gewohnheiten, und befreit sich damit idealiter von festgefahrenen Sichtweisen.

Die Ekstase wird damit zu einem Paradigma der totalen Freiheit, aber auch eine nur temporale Entgrenzung, die letztlich dann wieder in einen (neuen) Rahmen sich einfinden muss.

Serie: Philosophisch durch den Alltag

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Offener für andere Erfahrungen

Nicht zuletzt wird mit den psychedelischen Erfahrungen eine Bewusstseinserweiterung oder -veränderung verbunden, weil dabei etwas neu, anders, offener sichtbar wird.

Im psychedelischen Rausch nehmen Menschen Dinge wahr, die sie sonst übersehen; sie reagieren empathischer auf ihre Mitmenschen; sie fühlen sich verbunden mit der Natur oder dem Universum; sie sind befreit von sozialen und persönlichen Restriktionen; sie können aber auch konfrontiert werden mit inneren Zuständen und Erlebnissen, die sie verdrängt haben.

Der Absurdität die Stirn bieten

Es wundert daher nicht, dass sich auch Philosophinnen und Philosophen damit befasst haben, insbesondere die Existenzialistinnen und Existenzialisten um Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Es war für sie auch ein Weg, Erfahrungen voll auszuschöpfen, dem Absurden und der Endlichkeit des Lebens die Stirn zu bieten.

Wohl auch deshalb wird nun wieder soviel gefeiert: weil diese Endlichkeit uns so nah vor Augen geführt wurde.

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