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Sex-Podcast in China Offene Beziehung, geschlossene Gesellschaft

In China spricht man nicht über Sex. Die Podcasterin Niao Niao macht es trotzdem. Diese Erfahrungen macht sie dabei.

Angefangen hat es, als ich eine offene Beziehung wollte: Ich wollte Sex mit anderen Männern – nicht nur mit meinem damaligen Freund. Aber in meinem Freundeskreis gab es nur Paare. Mit ihnen konnte ich mich darüber nicht unterhalten.

Dann habe ich Jess kennengelernt, sie moderiert jetzt bei uns Sendungen. Zwei Monate haben wir uns über solche Themen unterhalten. Und uns dann überlegt, dass sich vielleicht auch andere Frauen ähnliche Fragen stellen.

Eine Frau zieht in einem Hotelzimmer Kleider an, ein Mann sitzt auf dem Bett und verschränkt die Arme vor dem Gesicht.
Legende: Sex gehört in China hinter verschlossene Türen: Szene in einem Hotel bei einer Polizeirazzia. Reuters / Stringer

Zum Beispiel, wenn ein Partner eine offene Beziehung will, der andere will aber nicht. Oder auch, wenn man sich nicht einig ist, ob man Kinder will. Das sind Fragen die viele Paare beschäftigen, nicht nur mich.

Die Gesellschaft macht Druck

Ich verspüre den Druck, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Meine Eltern und Grosseltern fragen immer wieder, weshalb ich noch nicht geheiratet habe und wer für mich sorgen werde, wenn ich alt bin.

Auch mein Freund möchte heiraten. Eine offene Beziehung kann er sich nicht vorstellen. Er weiss aber, dass ich den Podcast mache, und akzeptiert das auch.

Selbst kann er mit den Inhalten nicht viel anfangen. Er ist halt ein typischer chinesischer Mann.

Kinder werden einfach erwartet

Wir versuchen im Programm eine gewisse Diversität zu haben. Wir sprechen zum Beispiel über Themen wie Transgender, Homosexualität, und über das Problem von gesellschaftlichen Konventionen.

Es geht bei uns hauptsächlich um die sexuelle Befreiung.

Auch das Thema der sogenannten «Restefrauen» haben wir schon diskutiert. Dieser abwertende Begriff ist in China sehr verbreitet. Er steht für Frauen, die ein gewisses Alter erreicht haben, aber noch unverheiratet sind.

Heiraten und Kinder zu kriegen, ist in China etwas, das von einem einfach erwartet wird – als gäbe es keine Alternativen.

Auch Fetische sind kein Tabus

Hauptsächlich geht es uns um die sexuelle Befreiung. Wir reden über alle möglichen Spielarten der Sexualität. Seien dies SM-Beziehungen, oder – wie vorhin erwähnt – offene Beziehungen.

Auch über Fussfetische, oder über Menschen, die von ihren Partnern betrogen werden wollen, und dies erregend finden. Auf solche Themen erhalten wir sehr viel Feedback, sei es in Onlineforen oder direkt von den Hörern per E-Mail.

Wir haben sehr viele männliche Zuhörer.

Denn die Hörerinnen und Hörer leiden selbst auch unter den starren Geschlechterrollen. Auch sie müssen sich rechtfertigen, wenn sie nicht heiraten wollen.

Aber darüber wollen sie nicht so gern reden. Sie interessieren sich hauptsächlich für Sex.

Viele Männer, die zuhören

Viele unserer Hörerinnen und Hörer können sich sonst nicht über diese Themen unterhalten, oder sich mit Freunden über ihre sexuellen Vorlieben austauschen. Uns können sie ihre Geschichten schreiben, wir lesen sie dann im Podcast vor.

Unsere Hörer sprechen zwar gerne über alle möglichen Sex-Fantasien, aber gleichzeitig wissen viele nicht einmal über Verhütung richtig Bescheid.

Und dann hören andere, dass sie nicht die einzigen sind, die eine bestimmte Vorliebe haben.

Eine Frau sitzt an einem Café-Tisch, im Hintergrund ein Mannequin mit SM-Outfit.
Legende: Hier überspitzt, dort verheimlicht: In einem Café in Beijing dreht sich die ganze Einrichtung um Sex. Reuters / Kim Kyung-Hoon

Wir haben sehr viele männliche Zuhörer. Sie sind in der Mehrheit. Und sie hören sehr gerne Frauen zu, die ihre Erfahrungen mit den Hörern teilen.

Eine Frau, die bei uns zu Gast war, erzählte zum Beispiel von der Polyamorie. Ein Partner war ihr nicht genug. So etwas sehen Sie in der chinesischen Öffentlichkeit nicht.

Viel Unwissen, kaum Aufklärung

Auch wird nicht thematisiert, dass Frauen sexuelle Fantasien haben. Ich bin aber überzeugt, dass auch immer mehr Chinesinnen sich ihrer Begierde bewusst werden, und sie gerne ausleben würden.

Unsere Hörerinnen und Hörer sind ungenügend informiert. Sie reden zwar gerne über alle möglichen Sex-Fantasien, aber gleichzeitig wissen viele nicht einmal über Verhütung richtig Bescheid.

Frauen, die so freizügig sprechen wie wir, werden schnell als Schlampen bezeichnet.

Sie stellen uns sehr häufig ganz grundlegende Fragen: Wie man nicht schwanger wird, zum Beispiel, oder sich nicht mit sexuell übertragbaren Krankheiten ansteckt.

Auch Fragen zur Selbstbefriedigung gibt es, etwa ob zu viel davon schädlich sei. Ich denke manchmal, das könnten die Leute doch online nachschauen. Aber womöglich trauen sie uns mehr.

Das Internet ist nicht frei

Wir Macherinnen sind alle drei anonym. Wir geben sehr viel von unserem Privatleben preis, wir reden über unsere sexuellen Erfahrungen. Das wird in der chinesischen Kultur noch immer nicht gern gesehen.

Frauen, die so freizügig sprechen wie wir, werden schnell als Schlampen bezeichnet.

Die Zensur ist sehr streng geworden.

Einige Themen von uns wurden sofort von Online-Plattformen gelöscht. Das gilt auch für bestimmte Bilder.

So weit ich weiss, können diese Plattformen nichts dafür. Die wollen uns womöglich gar nicht zensieren. Es ist die staatliche Politik, die sie dazu zwingt.

Weitermachen trotz Zensur

Vor drei Jahren, als wir angefangen haben, war das alles noch viel einfacher. Doch inzwischen ist die Zensur sehr streng geworden.

Wir hoffen, dass wir unser Programm weitermachen können – ob für fünf, zehn oder zwanzig Jahre. Wenn wir bis dann viele Geschichten rund um Sex und Beziehung sammeln können, werde ich sehr stolz sein.

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