Ein Künstlerinnenkollektiv, das bekannt ist für seine fröhliche Betonung weiblicher Körperlichkeit, wird damit beauftragt, Motive für Tragtaschen zu zeichnen. Die Zeichnungen werden abgenommen, bezahlt und gedruckt.
Doch bei der Auslieferung der fertigen Tüten an die Läden zieht jemand die Notbremse – aus Angst vor Sexismusvorwürfen.
Fehler in der Entscheidungskette
Das sei kein alltäglicher Vorgang, meint Michael Kathe von der Werbeagentur Serviceplan, die mit der Aktion nichts zu tun hat. Irgendwo in der Entscheidungskette bei der Migros Zürich müsse etwas schiefgelaufen sein:
«Ein Unternehmen wie die Migros hat wahnsinnig viele Kontrollinstanzen. Ich denke, das mit der Papiertasche ist ein Betriebsunfall.» Wenn auch nur ein kleiner Unfall, weil Papiertaschen keine besonders relevanten Werbemittel seien.
Die Sache mit dem Schokogebäck
Nachdem die Migros Zürich schon eine Riesendiskussionen entfacht hat mit ihrem Entscheid, ein süsses Gebäck mit rassistischer Bezeichnung aus dem Sortiment zu verbannen, ist man offensichtlich vorsichtiger geworden.
«Man will jetzt noch eine Runde vorsichtiger sein. Deswegen die Notbremse», sagt Kathe. Vor ein paar Wochen hätte man das vielleicht noch nicht gemacht.
Aufstieg des «Purpose Marketing»
Sind mediale Shitstorms denn wirklich zu einem Risikofaktor für Unternehmen geworden? Weil die traditionellen Medien jeden Twitter-Hashtag gleich nochmals durch den Schnellkocher jagen?
Medien springen auf Social Media heute schneller an, bestätigt Kathe. Das sei aber nicht der einzige Grund für die hohe Sensibilität für heikle Themen: «Schweizer Unternehmen sind im Umbruch: Das sogenannte ‹Purpose Marketing› ist im Vormarsch.»
Gemeint ist die Verknüpfung von Produkten mit Wertvorstellungen: «Man sieht etwa in Amerika, dass Unternehmen ihre Werte noch stärker herausstreichen – und herausstreichen müssen.»
Als Beispiel nennt Kathe die Kontroversen um die Nike-Werbung mit Football-Star Kaepernick oder ein Werbespot von Gilette, der toxische Männlichkeit thematisiert. Das seien gewollt gemachte Shitstorms.
Punkten mit Nachhaltigkeit
Globale Unternehmen sind mittlerweile geübt darin, Vorwürfe kommunikativ umzudrehen. Besserung zu geloben und dann auch zu kommunizieren. «Es ist auch ein Wunsch des Konsumenten zu wissen, wofür ein Unternehmen einsteht und nach welchen Werten es handelt.»
In der Schweiz sehe man das zum Beispiel Migros und Coop, die Nachhaltigkeit schon länger zum Thema machten. Migros und Konkurrent Coop betreiben viel Aufwand um, Nachhaltigkeit und Bio-Freundlichkeit zu kommunizieren, sagt Michael Kathe.
Fehlender Konsens über Nacktheit
Dass die Migros ursprünglich eine «lustige» Tasche in Auftrag gegeben hat, passt eigentlich zur Kommunikationsstrategie des Unternehmens. «Grundsätzlich ist die Migros ein bisschen frecher in der Kommunikation», meint Kathe. Aber der Humor der Migros gehe üblicherweise nicht über einen gesellschaftlichen Konsens hinaus.
Offenbar ist der gesellschaftliche Konsens darüber, wie akzeptabel die Nacktheit einer von Frauen gezeichneten Frau gerade sein könnte, noch nicht definiert.