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Was macht die Vasektomie mit dem Mann?
Aus Input vom 05.03.2023. Bild: COLOURBOX_Phanuwat Nandee
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Sterilisation beim Mann Vasektomie: Wenn Verhütung zur Männersache wird

Sie gilt als die sicherste Verhütungsmethode. Doch sie ist unbeliebt. Warum schrecken viele Männer vor dem endgültigen Schnitt zurück? Eine Spurensuche zeigt: Es geht um Schmerz, Sex und Männlichkeit.

Ich habe es gewagt. Mit 34 liess ich mich sterilisieren. Meine Samenleiter wurden durchtrennt. Ich werde nie mehr ein Kind zeugen.

Matthias von Wartburg

Matthias von Wartburg

SRF Redaktor

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Für SRF Input ging der Redaktor und dreifache Vater der Frage nach, warum eine Vasektomie für viele Männer ein heikles Thema ist.

Das war vor zweieinhalb Jahren. Seither habe ich das Thema in meinem Umfeld immer wieder offen angesprochen und gemerkt: Für viele Männer ist nur schon ein Gespräch über diesen Eingriff zu viel. Warum sträuben sich viele, den endgültigen Schnitt zu machen?

Besuch in der Urologie

Auf der Suche nach Antworten spreche ich mit verschiedenen Männern. Unter anderem begleite ich Jonathan, der wie alle Patienten, die ich treffe, nicht mit Nachnamen genannt werden möchte. Der 35-Jährige hat am Inselspital Bern das Vorgespräch für seine Vasektomie, auch «Unterbindung» genannt.

Der Urologe zeigt auf einer Zeichnung, was bei einer Vasektomie gemacht wird.
Legende: Der Urologe erklärt Jonathan jeden Schritt der bevorstehenden Vasektomie. Matthias von Wartburg

Die erste Frage des Urologen: «Haben Sie Kinder, oder wollen Sie keine?» Jonathan erzählt, dass er zwei Kinder habe und getrennt von der Mutter lebe. Seine neue Partnerin habe bereits ein Kind aus einer früheren Beziehung. «Ich will keine weiteren Kinder», sagt Jonathan.

Vasekto-was?!

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Was wird genau gemacht?
Bei der Vasektomie werden die beiden Samenleiter im Hodensack durchtrennt und die Enden abgebunden. Somit gelangen keine Spermien mehr in die Samenflüssigkeit.

Wie sicher ist diese Verhütungsmethode?
Die Vasektomie gilt gemeinhin als die sicherste Verhütungsmethode. Die «Sicherheit» bezieht sich hier auf die Empfängnisverhütung. Gegen Geschlechtskrankheiten schützt eine Vasektomie nicht.

Kann eine Vasektomie rückgängig gemacht werden?
Theoretisch ja. Die Samenleiter können wieder zusammengenäht werden. Je mehr Zeit nach der Vasektomie allerdings vergangen ist, desto geringer sind die Erfolgsaussichten, wieder ein Kind zu zeugen. Die Operation ist zudem fünf- bis zehnmal so teuer wie eine Vasektomie.

Wie viel kostet eine Vasektomie?
Der Eingriff kostet rund 1'000 Franken. Die Krankenkasse beteiligt sich nicht an den Kosten. Je nach Zusatzversicherung wird jedoch ein Teil der Rechnung übernommen.

Was Jonathan dem Arzt ganz sachlich und rational sagt, hat eine grosse Tragweite. Egal, was in seinem Leben noch passiert: Nachwuchs gibt es keinen mehr. Zwar liesse sich die Vasektomie theoretisch rückgängig machen. Eine Erfolgsgarantie gibt es jedoch nicht.

Die Sache mit der Sicherheit

Ich selbst hatte mehr Mühe als Jonathan. Bevor ich mich für den Eingriff entschloss, war ich lange gegen eine Vasektomie. Mein Argument: Für den Fall, dass meine Frau und Kinder bei einem Autounfall sterben, wäre ich jung genug, um noch ein zweites Leben zu starten. Ich wollte mir nichts verbauen.

Der Sinneswandel kam, als mir klar wurde: Das Horrorszenario Autounfall ist viel unwahrscheinlicher, als dass wir trotz Kondomverhütung ein drittes Kind bekommen.

Ich habe immer gewusst, dass ich keine Kinder will.
Autor: Julian Liess sich mit 24 unterbinden

Einfacher haben es da Männer, für die Nachwuchs ohnehin kein Thema ist. So wie Julian. Er liess sich mit 24 Jahren unterbinden. «Ich habe immer gewusst, dass ich keine Kinder will», sagt er.

«Als Alternative zur Vasektomie gäbe es das Kondom, was mir zu unsicher ist, oder sonst wäre einfach die Frau für die Verhütung zuständig.» Er habe ein besseres Gefühl, wenn das endgültig geregelt sei, sagt Julian.

Zwei Zentimeter entscheiden

Zurück ans Inselspital Bern. Für die Untersuchung tastet der Urologe an Jonathans Hodensack. «Hier spüre ich den Hoden, dann den Nebenhoden. Davon ausgehend spürt man eine Struktur, fast wie eine ungekochte Spaghetti. Das ist der Samenstrang.»

Schaubild Anatomie des männlichen Fortpflanzungssystems und dem Einschnitt der Vasektomie.
Legende: Bei einer Vasektomie wird beidseitig der Samenleiter durchtrennt, so dass die Spermien nicht mehr in die Samenflüssigkeit gelangen können. IMAGO Images/agefotostock

Der Urologe erklärt, dass bei der Operation von beiden Samensträngen je ein etwa zwei Zentimeter langes Stück herausgeschnitten werde. «Die Enden werden verödet und mit einem Faden abgebunden. Anschliessend werden sie in unterschiedlichen Unterhautschichten eingepackt.» So soll verhindert werden, dass die Enden wieder zusammenwachsen.

Die Risiken eines Routineeingriffs

Die Liste möglicher Komplikationen des Eingriffs ist lang. «Es kann bluten, einen Infekt geben, es kann eine Wundheilungsstörung geben. Das kann auch zu Folgeeingriffen führen», sagt der Urologe.

Auftreten könne auch eine Entzündung der Hoden oder Nebenhoden, oder ein sogenannter Sekretstau, der aus dem Nebenhoden komme. Das sei aber selten.

Ebenfalls äusserst selten, aber sehr schmerzhaft sei das sogenannte «Samengranulom». Das entsteht, wenn ausgelaufene Samenflüssigkeit einen Raum unter der Haut füllt.

Ein Chirurg beugt sich während einer Operation über einen Patienten. Auf seinem Handschuh ist Blut.
Legende: Obwohl die Vasektomie eine Routineoperation ist, birgt der chirurgische Eingriff gewisse Risiken. IMAGO Images/Westend 61

Jonathan fragt nach, was die Anzeichen für diese Komplikationen wären. «In all diesen Fällen haben Sie deutliche Symptome. Fieber, Schmerzen, einen Ausfluss aus der Naht», sagt der Arzt. Im Normalfall gäbe es ausser einer kleinen Schwellung am Hodensack aber keine Symptome.

Zugleich macht er jedoch auf das «Post-Vasektomie-Schmerzsyndrom» aufmerksam – chronische Schmerzen an Hoden oder Samenleiter nach dem Eingriff. Bis heute sei nicht abschliessend geklärt, woher die Schmerzen kommen.

Video
Vasektomie – Nicht immer so harmlos wie versprochen
Aus Puls vom 01.05.2017.
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Jonathan lässt sich von der langen Liste nicht abschrecken. Der Urologe beruhigt ebenfalls: «In der Schweiz werden jährlich rund 10'000 Vasektomien gemacht. Und davon leiden vier Patienten an diesem Post-Vasektomie-Schmerzsyndrom.»

Rückzieher in letzter Sekunde

Bei der Recherche zu diesem Thema habe ich auch mit vielen Männern gesprochen, die sich gegen eine Vasektomie entschieden haben. Zum Beispiel Ivan. Der 48-Jährige hat zwei Kinder und lag schon auf dem Operationstisch für die Vasektomie, als ihn plötzlich ein ungutes Gefühl befiel.

Ich hielt es nicht mehr aus und habe noch im Operationssaal abgebrochen.
Autor: Ivan (48) Machte in letzter Sekunde einen Rückzieher

Nach der örtlichen Betäubung habe man seinen Hoden gedrückt, als ihm plötzlich übel geworden sei. «Ich fragte mich: Will ich diese Schmerzen wirklich? Dann hielt ich es nicht mehr aus und habe das Ganze noch im Operationssaal abgebrochen.» Ivan bleibt dabei: Eine Vasektomie sei nichts für ihn.

Anzahl Vasektomien nimmt ab

Die aktuellsten Zahlen zur Vasektomie in der Schweiz stammen aus der Gesundheitsbefragung von 2017. Das Bundesamt für Statistik gab an, dass die Zahl der Sterilisationen nach einem Anstieg zwischen 1992 und 2002 seither wieder zurückgehen.

Weiter hiess es in der Medienmitteilung: «Insbesondere bei den Männern zwischen 35 und 54 Jahren wird sie immer weniger eingesetzt.»

Woher kommt dieser Rückgang? Bei manchen ist es wohl wie bei Ivan: der Respekt vor den Schmerzen. Der grössere Faktor sei jedoch Unwissen, sagt Sandro Lütolf, Oberarzt in der Urologie am Spitalzentrum Biel. «Viele stellen sich den Eingriff viel grösser vor, als er ist.» Das halte viele davon ab, sich überhaupt darüber zu informieren.

Hinzu komme, dass die meisten Männer es nicht gewohnt seien, im Intimbereich untersucht, geschweige denn operiert zu werden. «Der Ort ist maximal intim, nicht vergleichbar mit einer Operation zum Beispiel am Handgelenk.»

Einfahrt des Inselspitals Bern, im Hintergrund das hohe Spitalgebäude
Legende: Eine Vasektomie wird an vielen Spitälern in der Schweiz angeboten, wie hier in Biel. Meist kommt es aber gar nicht erst zum Vorgespräch. KEYSTONE/Anthony Anex

Im Gegensatz zu Frauen gehören Untersuchungen im Genitalbereich bei Männern nicht zur Routine. Dass sich in dem Fall aber einfach die Frau unterbinden lassen sollte, gilt nicht als Argument. Denn: Die Unterbindung bei der Frau ist viel aufwändiger, teurer und gefährlicher als beim Mann.

Männlichkeit in Gefahr

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der Männer sieht Urologe Lütolf beim «gefühlten Verlust der Männlichkeit». Einige würden sich fragen, was eine Vasektomie für einen Einfluss auf das Testosteron, die Libido oder die Erektion hat.

«Völlig unbegründete Bedenken», winkt Lütolf ab. «Man macht nichts am Hormonhaushalt oder am Schwellkörper.» Auf das Testosteron oder die Erektion habe eine Vasektomie daher keinen Einfluss.

Sex nach der Vasektomie: Alles nur heisse Luft?

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Das Thema Sex darf in der Diskussion um die Vasektomie natürlich nicht fehlen. «Wird sich im Bett wirklich nichts verändern?», ist eine häufig gestellte Frage. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Am Empfinden verändert sich nichts.

Weil man sich keine Gedanken um die Verhütung mehr machen muss, wird der Sex nach der Vasektomie sogar etwas entspannter. Das gilt natürlich nur für Langzeitbeziehungen und nicht für One-Night-Stands. Denn: Eine Vasektomie schützt nicht vor Geschlechtskrankheiten.

Um auch noch die blöde Stammtisch-Frage zu beantworten: Nein, beim Orgasmus kommt nach der Vasektomie nicht nur warme Luft raus. Das Ejakulat bleibt praktisch unverändert. Die Spermien – welche nun im Hodensack bleiben, bis sie vom Körper abgebaut werden – machen im «herkömmlichen» Ejakulat weniger als 1 Prozent aus.

Am Inselspital Bern steht nach Jonathans Vasektomie-Vorgespräch fest: Er wird wiederkommen, um sich die Samenleiter durchtrennen zu lassen. Angst um seine Männlichkeit hat er keine.

Ich selbst halte es wie Jonathan: Warum sollte ich nach der Unterbindung kein richtiger Mann mehr sein? Wovor genau fürchten sich hier manche Männer?

Einordnung vom Männer-Coach

Antworten auf die Frage nach der Angst vor der Vasektomie erhoffe ich mir von Mario Meier. Der Männer-Coach bietet unter anderem ein «Männertraining» an. Ein Jahresprogramm für Männer, «die ihr Mann-Sein bewusst, authentisch und kraftvoll leben wollen!» So steht es auf seiner Webseite.

Portrait von Mario Meier vor weisser Wand.
Legende: Hat sich gegen eine Vasektomie entschieden, sieht in einem Eingriff aber keinen Verlust der «Mannskraft»: Männer-Coach Mario Meier. Matthias von Wartburg

Welchen Einfluss hat eine Vasektomie auf die Männlichkeit? «Da gehen die Meinungen auseinander, ob dieser Schnitt einen Einfluss hat oder nicht», sagt Mario Meier.

Wichtig sei, dass der Mann eine klare Haltung habe: «Ein Mann, der sich innerlich damit auseinandergesetzt hat und ein klares Ja für diesen Eingriff hat, verliert auch nichts von seiner Manneskraft.»

Die Gefahr bestehe jedoch darin, dass Männer nicht offen über dieses Thema sprechen und dadurch ein gewisser Druck entstehe, sagt Meier.

Ich will nichts verändern an einem gut funktionierenden Körper.
Autor: Mario Meier Männer-Coach

Für ihn selbst kommt eine Vasektomie nicht infrage: «Ich will nichts verändern an einem gut funktionierenden Körper», sagt Meier. Manche Männer, die er in seinen Coachings begleitet, sagen: «Ich mache keine Vasektomie, weil damit eine gewisse Essenz verloren gehen könnte.»

Für Männer-Coach Meier ist jedoch wichtig zu betonen, dass er niemandem vorschreiben will, welcher der richtige Weg ist. «Wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem Thema und dass der Mann eine klare Entscheidung für sich treffen kann – dann ist es kraftvoll.»

Ein Akt der Gleichstellung

Soll man nun eine Vasektomie machen oder nicht? Das muss jeder Mann und jedes Paar individuell entscheiden.

In einer Langzeitbeziehung ist die Vasektomie als »sicherste Verhütungsmethode» gegen eine ungewollte Schwangerschaft durchaus eine Überlegung wert.

Nach meiner Erfahrung und Recherche zu diesem Thema komme ich zu dem Schluss: Man(n) kann die Unterbindung auch als Akt der Gleichstellung sehen. Gerade wenn ein Paar gemeinsame Kinder hat, musste die Partnerin körperlich schon viel auf sich nehmen – die Vasektomie gibt dem Mann die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen.

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SRF 3, Input, 05.03.2023, 20:03 Uhr

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