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Unsichtbare Care-Arbeit Schweizer Haushalte: Putzen und trösten sollen die Frauen?

Haus- und Sorgearbeit sind Grundpfeiler der Gesellschaft, aber politisch kaum Thema. Das Buch «Küchengespräche» zeigt, wie Schweizer Familien Care-Arbeit meistern – und wie weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist.

Jeden Morgen stehen Mütter und Väter in der Schweiz in ihren Küchen, um Brote zu schmieren und Znüniboxen zu packen – für die künftigen Steuerzahler des Landes: ihre Kinder. Doch bis diese Kinder zu wertvollen Arbeitnehmerinnen herangewachsen sind, müssen sie bekocht, getröstet und bespasst werden.

Haus- und Sorgearbeit ist essenziell für die Wirtschaft eines Landes. Trotzdem ist sie politisch kaum Thema. In ihrem Buch «Küchengespräche» beschäftigen sich Samuel Gaiser und Heidi Kronenberg damit, wie unterschiedlich Familien die Herausforderung Haushalt bewältigen. Genau dort, in der Küche, haben sie zwölf Familien besucht und befragt, wie sie ihre Haus- und Sorgearbeit organisieren.

Ein Riesenberg Arbeit

Das Buch wirft ein Licht auf die unterschiedliche Handhabung der Care-Arbeit in Schweizer Haushalten und ergänzt die Eindrücke mit Experten-Wissen.

Kleinkind macht Kopfstand neben staubsaugendem Erwachsenen in der Küche.
Legende: Saugen, sorgen, spielen: Ist Care-Arbeit in der Schweiz nach wie vor weiblich? Mehrheitlich schon – aber neue Konzepte für gerechtere Aufteilung sind auf dem Vormarsch. Getty Images/Guido Mieth

Die Idee sei in der Pandemie entstanden, erzählt Samuel Geiser. Heidi Kronenberg und er hätten sich gewundert, warum plötzlich den Pflegekräften applaudiert wurde, den unbezahlten Care-Arbeitenden zu Hause aber nicht.

Was ist Care-Arbeit?

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Der Begriff «Care-Arbeit»   entstand in den 1990er Jahren als «Care Work» im englischen Sprachraum. Im Rahmen der Frauenbewegung wurde unbezahlte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige und zumeist von Frauen geleistete Arbeit sichtbar gemacht und ihre Bedeutung herausgearbeitet.

Unter Care-Arbeit fallen beispielsweise Kinderbetreuung, Erziehung und Altenpflege. Bis heute wird die Care-Arbeit nicht als ein gesellschaftspolitisch zentrales, zusammenhängendes Politikfeld gesehen, oder entsprechend bearbeitet.

Das bisschen Haushalt ist in Wirklichkeit ein Riesenberg Arbeit. Kein Wunder also, dass er in Beziehungen oft zu Streit führt. Überraschend offen erzählen die Menschen in «Küchengespräche», auf welche Arrangements sie sich geeinigt haben – und wie schwierig das manchmal war.

Da ist das Paar, das sich bewusst genau gleich viel um Kinder und Hausarbeit kümmert. Die Familie, in der die Frau einen Kader-Job hat und der Mann sich als «Hausmann» bezeichnet. Oder das Wohnprojekt, in dem Singlemütter sich so organisiert haben, dass jede sich einmal pro Woche um die insgesamt sieben Kinder kümmert. Begleitet werden die Reportagen von Fotos, die den Alltag anschaulich einfangen: auch, wie chaotisch so ein Kinderhaushalt manchmal aussehen kann.

In Sachen gerechter Aufteilung von Haus und Sorgearbeit habe sich schon einiges getan, meint Samuel Geiser. Es sei aber noch viel Luft nach oben.

WC-Bürste in Frauenhand

Die Arbeit mit den Kindern: Dort haben die Männer in den letzten zehn Jahren zugelegt, das kann man nachweisen. «Aber bei der harten Hausarbeit, bis zum WC-Putzen, da harzt es: Putzen ist mehrheitlich immer noch Frauensache», sagt Geiser.

Im Jahr 2020 machten Frauen in der Schweiz so viel unbezahlte Familien und Hausarbeit, dass man ihnen bei marktüblicher Bezahlung knapp 260 Milliarden Franken hätte zahlen müssen. Das ist mehr als Bund, Gemeinden und Kantone in einem Jahr ausgeben. Auch solch harte Fakten finden sich im Buch.

Geiser und Kronenberg haben auch Interviews mit Fachleuten geführt: mit Soziologinnen, Historikern, einer Ökonomin, aber auch mit einer Philosophin und einer Literaturwissenschaftlerin. Die Kombination aus Blick ins familiäre Nähkästchen und Experteninterviews macht den Charme von «Küchengespräche» aus.

Eines wird unmissverständlich klar: Dass die Haus- und Sorgearbeit für viele Familien so schwierig zu bewältigen ist, das liegt auch an der Politik. Etwa daran, dass die Kinderbetreuung in der Schweiz so teuer ist.

Was es bedeutet, wenn sich die Politik weiterhin so stiefmütterlich um das Thema kümmert, das lässt sich ganz genau beziffern: Es würde genau noch 46 Jahre dauern, bis Frauen und Männer gleich viel bezahlte Arbeit und unbezahlte Sorgearbeit leisten.

Buchhinweis

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Samuel Geiser, Heidi Kronenberg (Text), Yoshiko Kusano (Fotos): «Küchengespräche. Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?». Rotpunktverlag, 2024.

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