Seit der Protestwelle im Iran vor drei Jahren weigern sich nach wie vor viele Frauen, die strengen Kleidervorschriften im Land einzuhalten. Die islamischen Hardliner wollten darum im Parlament das Kopftuchgesetz verschärfen. Allein in der Hauptstadt Teheran sollen 80'000 neue Sittenwächter eingesetzt werden, die das Tragen des Kopftuches durchsetzen. Wie reagieren die Menschen im Iran darauf? Die Iran-Kennerin Farida Stickel ordnet ein.
SRF: Wie beurteilen Sie die Meldung, dass in Teheran in Zukunft 80'000 neue Sittenwächter die Kopftuchpflicht durchsetzen sollen?
Farida Stickel: Es erstaunt nicht, dass so ein Gesetz durchgesetzt werden soll. Meistens sind das auch einfach Ankündigungen, die dann in dieser Form nicht umgesetzt werden. Aber sie sollen Angst und Schrecken verbreiten und auch die Unsicherheit schüren, sodass die Menschen sich nicht sicher fühlen und nicht wissen, was sie erwartet. Am besten sollen sie eben ruhig sein und zu Hause bleiben und nicht versuchen, Regeln und Gesetze der Islamischen Republik und des Regimes zu hintergehen.
Ist es tatsächlich so, dass sich seit den Protesten vor drei Jahren immer weniger Frauen an die Kopftuchpflicht halten?
Das ist tatsächlich so. Wir sehen sehr viele Frauen, die ohne Kopftuch oder nur mit einem Schal um den Hals, den sie sich dann schnell über den Kopf ziehen können, in den Strassen unterwegs sind. Das ist aber vor allem im Norden Teherans der Fall, also eher dort, wo die Mittelschicht und die obere Mittelschicht lebt.
Es ist nichts Neues, dass das Regime sich immer wieder neue Dinge einfallen lässt, um die Bevölkerung und vor allem die Frauen unter Kontrolle zu bringen.
Es gibt nach wie vor Gegenden oder Orte, wo das überhaupt nicht der Fall ist oder wo Frauen dann Repressionen und Sanktionen ausgesetzt sind, wenn sie das Kopftuch nicht so tragen, wie das Regime es möchte. Dazu gehören beispielsweise auch öffentliche Gebäude, wo sie keinen Zutritt hätten, wenn sie die Kopftuchpflicht nicht einhalten würden.
Wie gehen die Menschen im Iran, vor allem die Frauen, mit so einer Ankündigung dieser 80'000 Sittenwächter um?
Häufig mit Sarkasmus oder Zynismus. Es ist nichts Neues, dass das Regime sich immer wieder neue Dinge einfallen lässt, um die Bevölkerung und vor allem die Frauen unter Kontrolle zu bringen. Man flüchtet sich in eine Art Galgenhumor, weil man nichts ändern kann.
Die Menschen sind unzufrieden, nicht nur wegen der Unfreiheit, sondern auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Isolation Irans.
Viele sind natürlich empört. Aber für die Menschen kommt das nicht überraschend. Und deswegen sind die Reaktionen vielleicht auch nicht so scharf, wie wir uns das hier ausmalen, sondern das ist einfach ein weiterer Punkt in einer langen Reihe von Dingen, die das Regime immer wieder versucht.
Offenbar haben sich sowohl die iranische Regierung von Präsident Massud Peseschkian als auch der einflussreiche Sicherheitsrat gegen die Umsetzung des strengen Kopftuchgesetzes ausgesprochen. Das heisst also, die Mächtigen im Land sind sich diesbezüglich nicht einig. Wie kommt das?
Ich würde nicht sagen, dass sie sich nicht einig sind, sondern dass verschiedene Interessen im Vordergrund stehen. Für die einen, die eine Verschärfung der Kleidervorschrift wollen, stehen ideologische Interessen im Vordergrund. Für sie ist die Durchsetzung der Kleidervorschrift ein ideologischer Eckpfeiler des Regimes, und der muss durchgesetzt werden. Für die anderen steht im Vordergrund, dass sie Angst haben vor einem Wiederaufflammen der Unruhen in der Bevölkerung. Denn die Menschen sind unzufrieden, nicht nur wegen der Unfreiheit und weil die Kleidervorschriften so rigoros sind, sondern auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit, wegen der Inflation und der wirtschaftlichen Isolation Irans.
Das Gespräch führte Igor Basic.