Ich fahre mit meiner Cousine an einem Samstagmorgen Richtung Naturschutzgebiet Altenrhein am Bodensee und denke mir: «So stelle ich mir einen gelungenen Start ins Wochenende nicht vor.»
Anders Natalie: Sie nimmt sich alle paar Wochen ausgiebig Zeit, um Vögel zu beobachten oder wie sie es nennt: «zum Birden». Von ihr will ich wissen: Was macht Vögel so faszinierend?
Im Naturschutzgebiet angekommen, sucht Natalie das Ufer mit ihrem Feldstecher ab, ich ziele mit meiner Kamera unbeholfen auf zwei Schwäne. Dann passiert's: Ich werde Zeugin einer Paarung. Und merke: Vögel zu beobachten hat etwas Intimes.
Egal, wo du bist: Du findest andere Vogelbegeisterte.
Natalies Begeisterung hat sich schon früh entwickelt: Als Kind hat sie Vögel aus Fachbüchern abgezeichnet und CDs gehört, um Vogelstimmen zu lernen. Heute hat Natalie Umweltingenieurwesen studiert und ist ausgebildete Vogelexkursionsleiterin. So habe sie auch andere Vogelbegeisterte kennengelernt.
«Es gibt eine Birder-Community», sagt Natalie. «Egal, wo du bist: Du findest andere Vogelbegeisterte.» Tatsächlich dauert es nicht lange, bis wir auf einen anderen Hobby-Ornithologen treffen: Philipp, Mitte dreissig, aus Oberösterreich und leidenschaftlicher Vogelfotograf kommt uns vom Ufer entgegen. «Schon etwas gesehen?», fragt Natalie.
Heute sei die Ausbeute mager gewesen, erzählt Philipp. Aber er nimmt sich Zeit, um uns von einem ganz speziellen Moment zu erzählen: Einmal habe er einen Eisvogel beim Jagen fotografiert. «Er hat einen Fisch auf einem Ast hin und her geworfen, bis er hinüber war und ihn dann geschluckt», schwärmt Philipp, «allein schon die Farben des Vogels sind traumhaft».
Diese speziellen Momente kennt auch Natalie. Etwa wenn sie einen seltenen Vogel sieht: «Dann springt etwas in mir auf, wie bei einem elektrischen Schlag.»
Der Trend geht zum Vogel
Für Natalie hat das Vogelbeobachten aber auch etwas Konstantes: «Wenn man möchte, kann man es die ganze Zeit machen.» Ihre Faszination habe für sie deshalb auch etwas Beruhigendes und Meditatives. Damit ist sie nicht allein.
Wir sehen eine starke Zunahme.
Auch die Vogelwarte Sempach beobachtet in den letzten Jahren einen Trend beim Vogelbeobachten, etwa auf der Plattform «Ornitho», bei der jede Person Vogelbeobachtungen melden kann.
«Seit dem Start 2007 sehen wir da eine starke Zunahme», so Mediensprecher Livio Rey. Und es gäbe noch einen zweiten Faktor, der Vögel für viele Leute spannend gemacht habe.
«Die Corona-Pandemie hat da auch eine Rolle gespielt», sagt Livio Rey. «Die Leute konnten nicht raus und haben auf dem Balkon und im Garten die Vögel beobachtet und sich für die verschiedenen Arten interessiert.»
Noch etwas fällt Livio Rey auf, wenn er selber Vögel beobachtet. Man sehe schon lange nicht mehr nur alte, bärtige Männner in Jagdkleidung beim Vögelbeobachten. Sondern auch viele Junge – und Frauen. Das gebe eine positive Dynamik in die Szene. «Wenn mehr Leute mitmachen, wird es vielfältiger.»
Am Nachmittag sind Natalie und ich im Kaltbrunner Riet, in der Nähe von Uznach. Ein «Birder-Hotspot», versichert sie mir. Und tatsächlich: Wir sehen Familien, Paare und junge Frauen mit Fotoapparaten.
Und dann, plötzlich: Eine Schar Graugänse mit Jungen, die nur wenige Meter neben uns über den Weg watscheln.
Da frage ich Natalie, ob wir vielleicht wieder einmal zusammen Vögel beobachten gehen können. Nicht ständig. Aber vielleicht zweimal pro Jahr?