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Vom Nordpol zum Südpol zu Fuss «Wir sind alle als Abenteurer geboren»

Der Norweger Erling Kagge hat die Pole der Welt zu Fuss erreicht. Heute sucht er keine Rekorde mehr, sondern Stille und die Natur. Was wir verlieren, wenn das Eis am Nordpol schmilzt, beschäftigt ihn mehr denn je.

Erling Kagge war gerade mal 32 Jahre alt, da segelte er bereits über den Atlantik, erreichte den Nord- und Südpol zu Fuss und erklomm den Mount Everest. Heute, wo er knapp doppelt so alt ist, sucht er keine gefährlichen Gipfel mehr, sondern Herausforderungen im Inneren.

Mann im Schnee mit Segel in einer Winterlandschaft.
Legende: Erling Kagge, norwegischer Entdecker, der 1993 die erste Expedition zum Südpol ohne Unterstützung und alleine absolvierte. (Foto in Oslo, 1993) Getty Images/David Levenson

Die Stille und das Gehen sind zu seinen Weggefährten geworden – Themen zweier internationaler Bestseller, in denen der Norweger erkundet, was bleibt, wenn der tägliche Lärm verstummt.

Hart gegen sich selbst

Sein Credo: Man solle sich das Leben bewusst schwieriger machen, als es ist. Nur so können wir unser Potenzial entfalten, Freiheit erfahren und Dankbarkeit lernen. Wer glaube, dass Schmerz nicht zum Leben gehöre, sei naiv.

Kagge findet den Sinn des Lebens in Momenten der Selbstüberwindung: «Wenn du dich nie fürchtest, nie frierst, nie kämpfst – wie willst du dann Freude empfinden?»

Verschmelzen mit der Natur

Bei ihm waren es 58 Tage durch das endlose Weiss der Arktis, 50 Tage allein durch die Antarktis, ohne Funkkontakt, bei minus 50 Grad. In dieser lebensfeindlichen Welt lernte er, dass Schmerz und Schönheit oft zusammenfallen. Und dass man, wenn alles Zivilisatorische abgeschält ist, mehr Tier als Mensch wird, ein Instinktbündel – aber vielleicht genau dann am tiefsten verbunden mit der Natur.

Was für eine dumme Idee, zum Nordpol zu laufen.
Autor: Erling Kagges Vater

Denn im ewigen Weiss spürte er, dass der Körper nicht an der Haut endet – dass Wind, Licht und Kälte Teil von uns werden. In dieser archaischen Lebendigkeit stellte sich eine Präsenz, ein Gefühl für die Existenz ein. Er kam in Kontakt mit einem tiefen, ursprünglichen Teil seines Geistes, den er zuvor nicht kannte. Ohne Kälte gäbe es halt keine Magie, meint er.

Nordpol, Schnee und Meer
Legende: Durch den Schnee stapfen und wie verrückt frieren: So wollte Erling Kagge seinen Vater beeindrucken. (Symbolbild) IMAGO/YAY Images

Kagge ist ein bescheidener Mensch. Mit seinen Erfolgen prahlt er nicht, für ihn sind sie vielleicht auch innere Notwendigkeit, zumal er mit seinen Expeditionen stets die Anerkennung des Vaters gewinnen wollte. «Ich wollte meinen Vater beeindrucken, in dem ich hungerte, mich in grosse Gefahr begab und wie ein Verrückter fror.»

Sein Vater aber sagte bei Kagges Rückkehr vom Nordpol bloss: «Was für eine dumme Idee, zum Nordpol zu laufen.» Inzwischen sind die beiden gute Freunde.

Finde Deinen Nordpol

Kagge bemüht sich, den Menschen Hinweise für ein glückliches Leben zu geben. Jeder müsse seinen eigenen Nordpol finden, etwa. Oder: Es sei viel schwieriger, unglücklich zu sein, wenn man durch den Wald geht, als wenn man den ganzen Tag vor einem Bildschirm sitzt.

Mann schneidet Kuchen, zweiter Mann mit Kamera daneben.
Legende: Der Polarforscher Erling Kagge kehrt nach seiner Expedition zum Mount Everest nach Hause zurück. Hier wird er mit einem Kuchen willkommen geheissen. (1994) Imago/Morten Holm/NTB

Er selbst lebt in Oslo, umgeben von Kunst, da er ein renommierter Kunstsammler und Verleger wurde. Aber der Vater von drei erwachsenen Töchtern ist auch passioniert, wenn es um die Zukunft des Nordpols geht.

Die Zukunft des Nordpols

Kein Wunder: Das Eis, über das er einst zusammen mit seinem Freund Børge Ousland ging, sieht er heute schmelzen und schwinden und sagt: «Das Wohlergehen des Menschen lässt sich nicht vom Wohlergehen der Natur trennen.»

Seit Jahrhunderten habe der Westen die Vorstellung entwickelt, die Natur «erobert» zu haben – als stünde der Mensch ausserhalb von ihr. «Wir glauben, wir brauchen die Natur nicht mehr. Genau das ist die Wurzel vieler unserer Probleme», sagt er.

Kagge ist überzeugt: Die Klimakrise lässt sich nicht begreifen, solange wir uns als getrennt von der Erde sehen. «Ich hoffe, dass wir wieder lernen, der Stimme von Mutter Erde zuzuhören.»

Buchhinweis:

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Erling Kagge: «Mein Nordpol: Eine Biografie». Insel Verlag, 2025.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 9.11.2025, 11 Uhr

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