- Lange Zeit war das Verhältnis von Kirche und Staat in Frankreich verkrampft . Heute ist die Trennung von Religion und Staat ein Merkmal der politischen Kultur in Frankreich.
- Wie wichtig die Laizität ist, zeigt ihr Rang in der französischen Verfassung. Sie steht im ersten Artikel: «Frankreich ist eine unteilbare, laizitäre , demokratische und soziale Republik.»
- Im französischen Wahlkampf spielt das Thema Religion dennoch eine wichtige Rolle.
Als Charles de Gaulle, der Gründer der Fünften Republik, zu offiziellen Anlässen als Präsident Gottesdienste besuchte, ging er nicht zur Kommunion. Er wollte damit ein klares Bekenntnis zur Trennung von Kirche und Staat ausdrücken: der Laizität. Der Empfang des Leibes Christi hätte, so seine Befürchtung, einer Parteinahme geglichen.
Feindbild Burkini
Lange Zeit war das Verhältnis von Kirche und Staat in Frankreich verkrampft. Früher galt der römisch-katholische Priester in seiner schwarzen Soutane als Feindbild der Laizität. Mittlerweile ist die Muslimin im schwarzen Burkini an seine Stelle getreten.
Die Trennung von Religion und Staat ist ein Strukturmerkmal der politischen Kultur in Frankreich. Neun von zehn Französinnen und Franzosen geben in Umfragen an, die Laizität gehöre zur nationalen Identität.
Auch im französischen Wahlkampf spielt das Thema Religion eine wichtige Rolle. Zwar nicht mehr ganz so virulent wie bei den letzten Wahlen 2012, doch nach wie vor wird in den TV-Debatten die Gretchenfrage gestellt: Wie hältst du’s mit der Laizität?
Front National diskutiert Kippa-Verbot
Vor allem Marine Le Pen, die Kandidatin des rechtspopulistischen Front National, ist Verfechterin einer strikten Auslegung der Laizität. Sie will das Kopftuch in der Öffentlichkeit, etwa auf der Strasse oder in Bussen, verbieten.
Das Tragen der Burka und mancherorts auch des Burkinis ist bereits untersagt. Zwischendurch war auf Seiten des Front National gar von einem Kippa-Verbot die Rede.
Spiritualität gegen Fanatismus
Der Kandidat der Konservativen, François Fillon, spricht sich gegen eine «aggressive Lesart der Laizität» aus. «Spiritualität kann eine Waffe gegen Fanatismus sein», meint Fillon und versucht so, konservative Katholiken zu umgarnen.
Emmanuel Macron, der laut Umfragen die grössten Chancen auf den Sieg hat, bemüht sich um eine weitgehend unideologische Interpretation der Laizität. «Sie schützt die Gläubigen und diejenigen, die nicht glauben», betont Macron. Zugleich weist er Marine Le Pen in die Schranken. Er wirft ihr vor, die Laizität als Feigenblatt zu nutzen, um gegen Muslime zu hetzen.
Verbot von christlichen Symbolen?
Das Thema Islam bewegt in Frankreich die Gemüter. Der Angriff auf Polizisten am Donnerstagabend und die grossen Anschläge in Nizza und Paris gehen mutmasslich auf das Konto des IS. In der Normandie wurde einem Priester in der Kirche die Kehle durchgeschnitten.
Von Islam-Kritikern wird vor allem Marine Le Pen profitieren. Allerdings ist fraglich, ob ihre Forderung nach einem Kopftuchverbot nicht auch ein Bumerang werden könnte: Zwangsläufig würde so auch die Sichtbarkeit christlicher Symbole eingeschränkt. Eine Ordensschwester dürfte dann kaum noch im Habit auf die Strasse gehen.
Mercedes für den einen Priester, Renault für den anderen
Zu den Widersprüchen von Marine Le Pens Laizität-Rigorismus ist auch ihr Festhalten am Konkordat in Elsass-Lothringen. In dem Teil Frankreichs, den Deutschland nach dem I. Weltkrieg verlor, gilt nach wie vor ein Vertrag zwischen Napoleon und dem Heiligen Stuhl, der der Kirche Privilegien sichert.
Die Kirchensteuer ist eines darunter. Deswegen ist die Kirche in Elsass-Lothringen relativ reich. In Frankreich gilt das Bonmot, dass ein Priester im Elsass einen Mercedes fährt, woanders sich aber nur einen Renault leisten könne. Das Konkordat widerspricht einer strikten Laizität – doch Le Pen hütet sich davor, diese heilige Kuh anzutasten.
Positive Laizität: Sarkozys Vermächtnis
Unabhängig von einzelnen Forderungen der Wahlkämpfer setzt sich eine Tendenz fort, die 2007 der damalige Präsident Nicolas Sarkozy festgeschrieben hat. Er sprach von einer «laicité positive», einem positiven Verständnis der Laizität.
Diese sieht Religionen nicht als Gegner, sondern als Partner. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass auch Religionen dem Allgemeinwohl dienen. Und dass sich bestimmte Probleme – wie etwa die Integration von Muslimen – nicht im Gegeneinander, sondern besser im Miteinander lösen lassen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 20.04.2017, 17:15 Uhr