Zum Inhalt springen

Präsidentenwahl Frankreich Würde bringt Bürde

Vom künftigen Präsidenten werden Lösungen in vielen drängenden Problemen erwartet: Mehr Arbeit und Wachstum, mehr Sicherheit und Terrorabwehr, mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ein Situationsbericht aus Marseille.

Mehr Arbeit und Wachstum

Die französische Industrie hat seit der Jahrtausendwende über eine Million Stellen verloren. Das entspricht einem Viertel aller Industriearbeitsplätze. Allerdings zeigt sich ein Silberstreifen am Horizont: Die Arbeitslosigkeit liegt in Frankreich heute knapp unter 10 Prozent und geht seit einem Jahr leicht zurück. Denn Frankreichs Wirtschaft kommt langsam wieder in Fahrt, nach fast zehn Jahren Stagnation.

Seit gut einem Jahr wächst die französische Wirtschaft also wieder – um 1,2 Prozent im Jahr 2016. Und in diesem Jahr soll es noch etwas mehr sein, sagen Ökonomen voraus. Das Wachstum werde gebremst durch die hohen Sozialabgaben auf den Löhnen, kritisieren die Unternehmer. Diese betragen bis zu 42 Prozent des Bruttolohnes. Als weitere Bremse wirke das hochkomplexe Arbeitsrecht, mit seinen starren Arbeits- und Ruhezeiten sowie den hohen Zuschlägen auf den Überstunden.

Sie würde mehr Stellen schaffen, sagt Unternehmerin Julie Bousquet-Fabre gegenüber «10vor10», wenn das Arbeitsrecht ihr mehr Spielraum liesse und die Sozialabgaben auf den Löhnen tiefer wären. Sie führt in Salon de Provence bei Marseille eine Seifenfabrik.

Mehr Sicherheit und Terrorabwehr

Seit den Terroranschlägen von Paris und Nizza machen sich viele Französinnen und Franzosen Sorgen um ihre Sicherheit. Die sozialistische Regierung hat aus diesem Grund viele Armee-Angehörige mit Bewachungsaufgaben betraut – auf gut besuchten öffentlichen Plätzen, vor Sehenswürdigkeiten, Museen oder jüdischen Einrichtungen, die zur Zielscheibe von islamistisch-motivierter Gewalt werden könnten. Zusätzlich sind die Polizeikräfte während der Amtszeit von François Hollande aufgestockt worden.

Auch in Marseille ist die Stadtpolizei in den letzten Jahren kräftig ausgebaut worden – auf 420 Personen. Das entspricht einer Verdoppelung innerhalb von fünf Jahren. Ausserdem erhielten die Polizisten neue Schutzwesten sowie Elektropistolen und Schusswaffen. In Marseille liefern sich rivalisierende Banden seit Jahren einen tödlichen Kleinkrieg – um die Vorherrschaft im Drogen- und Waffenhandel. Jährlich verlieren dabei über 20 Personen das Leben. Der Stadtpolizist Lionel Magro nimmt «10vor10» mit auf Streife.

Mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt

Terrorangst und das Gefühl der Unsicherheit verstärken die sozialen Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen in Frankreich. Nach den Terroranschlägen nahmen die Übergriffe auf islamische Einrichtungen vorübergehend stark zu. Damit nicht genug, mehrere politische Parteien fordern strengere Regeln für die Integration der Ausländer und wollen die Zuwanderung einschränken. Das erhöht bei den Eingewanderten das Gefühl, nicht willkommen zu sein.

In Marseille leben rund 200'000 Muslime, was einem Viertel der Stadtbevölkerung entspricht. Die meisten von ihnen stammen aus dem Maghreb und gelten mehrheitlich als integriert. Viele von ihnen leben im Nordquartier von Marseille, das stark unter Armut und Arbeitslosigkeit leidet. Das erschwert das Zusammenleben.

Mehrere Vereinigungen versuchen hier Gegensteuer zu geben: Der Kulturverein Yes-we-camp! etwa will auf einer ehemaligen Industriebrache einen Stadtpark schaffen. Der Foresta-Park soll Quartierbewohner aus verschiedensten sozialen Schichten zusammenbringen.

Mehrere Sportvereine verfolgen dasselbe Ziel, zum Beispiel der Boxclub BCR13, der von der Stadt Marseille aus dem Sportfonds für seine Integrationsbemühungen gefördert wird. «10vor10» hat ein Boxtraining besucht.

Meistgelesene Artikel