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Was das Metaverse bringt «Was nützt uns das, nur weil es technisch machbar ist?»

Die virtuelle und dreidimensionale Welt Metaverse erweitert unsere Realität virtuell mit zusätzlichen Informationen – oder sie schafft sogar eine eigenständige Online-Parallelwelt. In Ansätzen ist das schon länger Teil unseres Lebens: Tagtäglich gamen viele Millionen Menschen und es gibt bereits Onlinewelten wie «Second Life», in denen Leute als Avatare miteinander interagieren.

Was macht das Metaverse mit uns? Stephan Sigrist, Gründer der Zürcher Denkfabrik W.I.R.E. und der Future Society Association, ordnet ein.

Stephan Sigrist

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Stephan Sigrist ist Gründer und Leiter der Zürcher Denkfabrik W.I.R.E. sowie der Future Society Association . Er analysiert mit seinem Team globale Entwicklungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und identifiziert künftige Herausforderungen und neue Lösungsansätze. Sigrist hat an der ETH Zürich Molekularbiologie studiert und war zuvor in der medizinischen Forschung und als Unternehmensberater tätig.

SRF: Werden bald alle mit einer «Virtual Reality»-Brille durchs Leben gehen?

Stephan Sigrist: Tatsächlich steht uns ein grosses gesellschaftliches und technologisches Experiment bevor. Dabei ist die Vision des Metaverse gar nicht so neu. Beispielsweise stellte Neal Stephensons Roman «Snow Crash» bereits 1992 eine dreidimensionale Onlinewelt in Aussicht.

Das befördert enorme Erwartungen und es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Digitale Produkte werden im grossen Stil vertrieben. Selbst digitales Bauland wird verkauft! Und die Potentiale einer neuen Arbeitswelt werden heiss diskutiert.

Gleichzeitig gibt es einen grossen Hype um das Metaverse. Für eine gute Prognose ist es momentan einfach noch zu früh.

Wer treibt das Metaverse voran – und mit welchen Interessen?

Die digitalen Vorreiter der letzten 20 Jahre treiben auch das Metaverse voran. Das sind natürlich die Unternehmen im Silicon Valley, aber auch China wurde zu einer neuen digitalen Macht.

Diese Player verfolgen starke kommerzielle Interessen. Letztlich möchten Big-Data-Unternehmen mehr Zeit von Menschen gewinnen, um damit mehr Werbung und digitale Güter verkaufen zu können.

Wir stossen mit der bestehenden Rechtssprechung an Grenzen.

Ich rechne ihnen aber auch an, dass sie digitale Pionierarbeit leisten wollen, um das Internet in eine dreidimensionale Welt zu übertragen.

Im Metaverse kann ich Superkräfte besitzen und eine andere Persönlichkeit annehmen. Handeln wir uns ethische Probleme ein, wenn der Realitätsbezug fehlt?

Das Metaverse stellt uns vor eine Reihe ethischer Herausforderungen. Viele davon sehen wir bereits im bestehenden Internet: Datenschutz, Falschinformationen, Manipulationen, Sucht. Das wird sich in einer dreidimensionalen Onlinewelt nun verstärken.

Ein Mann mit einer Virtual-Reality-Brille und Handy sitzt am Boden einer Stadt in der Nacht.
Legende: Gehen wir bald alle mit einer «Virtual Reality»-Brille durchs Leben? Getty Images/Eugenio Marongiu

Beim Schutz von Individuen stossen wir mit der bestehenden Rechtsprechung und unseren jetzigen moralischen Vorstellungen an die Grenzen. Gilt zum Beispiel ein Übergriff auf meinen Avatar, von dem ich physisch gesehen nichts merke, als sexuelle Belästigung?

Es gilt also noch viel zu klären. Welche Werte sollten uns dabei anleiten?

Ich bin hin und hergerissen. Wir leben in einer liberalen Welt, in der meine Freiheit dort endet, wo sie andere Personen beeinträchtigt. Da das Metaverse viele Parallelen zur Realität aufweist, sollten wir auch die gleichen Massstäbe anwenden.

Die Tech-Unternehmen bauen jetzt die technische Infrastruktur für das Metaverse. Parallel dazu sollten wir die ethischen und gesellschaftlichen Grundlagen dafür schaffen.

Was heisst das konkret?

Fälle wie Kinderpornografie und Vergewaltigungen müssen unbedingt verfolgt werden. Hier muss die Menschenwürde durchgesetzt werden können, um eine grenzenlose und gefährliche Welt zu verhindern. Beim Gaming ist es hingegen weniger klar: Darf ich da Menschen ohne Konsequenzen töten? Studien belegen, dass sich dieses Verhalten nicht direkt in die Realität zurückübersetzen lässt.

Wir brauchen eine Rückkoppelung in die reale Welt.

Die Vermittlung von Basiskompetenzen ist bei all diesen Fragen zentral: Wie gehe ich mit Suchtpotenzial um? Wie begegne ich Ängsten, Burn-outs und Stress? Dies ist auch Aufgabe von Schulen und anderen Bildungsstätten.

Wie realistisch sind die Versprechungen des Metaverse?

Das Metaverse wird von der Realität unterscheidbar bleiben. Man wird sich an das physische Umfeld erinnern, immerhin trägt man dabei die ganze Zeit eine relativ schwere Brille.

Es wäre sicherlich nicht wünschenswert, den grössten Teil unsere Zeit virtuell zu verbringen. Wir brauchen eine Rückkopplung in die reale Welt, zu realen Menschen.

Deswegen müssen wir selektiv digitalisieren. Denn was nützt uns das Metaverse, nur weil es technisch machbar ist? Es muss um neue Erlebnisse gehen, über die wir staunen können – und die unser jetziges Leben sinnvoll ergänzen.

Das Gespräch führte Florian Skelton.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 08.05.2022, 11:00 Uhr ; 

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