Auf der Ladefläche eines Pickups geht es raus aus Simbabwes Hauptstadt Harare. Bald hören die Asphaltstrassen auf. Während die Schlaglöcher tiefer werden und es hoffnungslos holpert, verspricht der Präsident auf riesigen Plakaten das beste Strassennetz bis 2030. «Let's pray for this car»: der lakonische Kommentar einer Mitreisenden.
Nach einer Stunde erreichen wir einen Gesundheitsposten. Hier findet einmal im Monat ein Austauschtreffen der «Gogos» statt, der Grossmütter, die in der Region arbeiten.
Mein Herz ist dafür gemacht, anderen beizustehen.
In Simbabwe gibt es über 4000 Grossmütter, die psychosoziale Hilfe anbieten. Auf Holzbänken vor Kliniken, auf Hausbesuchen. Sie arbeiten ehrenamtlich, die Beratungen sind gratis.
Zu ihnen gehört Anna Mumfungiza. «Mein Herz ist dafür gemacht, anderen beizustehen. Kennst du Ubuntu? Diese Lebensphilosophie prägt mein Sein.» Die Essenz von Ubuntu wird häufig mit «Ich bin, weil wir sind» übersetzt.
Eine Klientin von «Gogo» Anna ist Kozai Mureriuwa. «Mir ging es immer schlechter. Ich wusste nicht, was mit mir los war.» Doch sie wollte niemanden davon erzählen. «Ich hatte Eheprobleme, wer hat die nicht?»
Eine Grossmutter, eine Holzbank, eine wirksame Methode
Dann hörte Kozai, dass es beim Gesundheitsposten Grossmütter gebe, denen man vertraulich von seinen Problemen erzählen könne. «Ich hatte keinen Lebensmut mehr. Also habe ich mich auf diese Holzbank gesetzt.» Auf die Holzbank zu «Gogo» Anna. «Diese Gespräche haben mir das Leben gerettet.» Was ihr genau geholfen hat, kann oder will sie nicht erzählen.
Vor ein paar Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation die «Friendship-Benches» als wirksame Methode anerkannt. Die Idee dazu hatte Dixon Chibanda. Er ist einer von nur 19 Psychiatern in Simbabwe.
Immer wieder stellte er sich die Frage, was eigentlich seine Rolle als Psychiater sei – in einem der ärmsten Länder der Welt? Dann kommt ihm eine Idee. Könnten nicht Grossmütter psychische Gesundheitsversorgung zugänglicher machen?
Grossmütter tragen die Narben des Lebens mit Würde.
«Denn in vielen Fälle braucht es keinen Profi.» Die wichtigste Eigenschaft, um jemandem beizustehen, sei gelebte Empathie. Wenn man Menschen Respekt spüren lässt, entstehe ein Raum für Geschichten und, «wenn Menschen ihre Geschichte teilen, beginnt Heilung».
Grossmütter seien ideal für das Projekt, so der Psychiater. «Grossmütter sind weise. Sie sind die Hüterinnen der lokalen Kultur und sie tragen die Narben des Lebens mit Würde.»
Kluge Grossmütter, blinde Flecken?
Bei aller Weisheit - vielleicht haben Grossmütter auch problematische Ansichten? Vertreten veraltete Rollenbilder?Sind feindlich eingestellt gegenüber Menschen aus der LGBTQ-Gemeinschaft?
Hier komme die Ausbildung ins Spiel, erklärt Chibanda: acht Wochen Crash-Kurs in Gesprächs- und Verhaltenstherapie. «Sie lernen, dass Offenheit genauso zwingend ist, wie die Schweigepflicht. Dass sie Menschen treffen werden, die völlig andere Vorstellungen vom Leben haben.» Heute tragen 4000 Grossmütter dazu bei, die psychische Gesundheitsversorgung in Simbabwe besser zugänglich zu machen.
Gewöhnliche «Gogos» wie Anna Mumfungiza. Wobei sie zum «gewöhnlich» lachend meint: Sie sei in der Zwischenzeit fast schon eine Berühmtheit und sie wolle noch lange da sein für ihre Mitmenschen. Wie lange noch? «Ich sterbe wohl auf einer ‹Friendship-Bench›.»