In der Serie «Wilder» ermittelt Kriminalkommissarin Rosa Wilder im fiktiven Dorf Thallingen/Thallion im Berner Jura. Also in einer Region, die geprägt ist von der Jurafrage.
Denn im Gegensatz zum Rest des Juras entschied sich diese Region 1978, sich nicht dem Kanton Jura anzuschliessen. Sie verblieb als französischsprachige Minderheit im Kanton Bern. Eine Entscheidung, die bis heute immer wieder zur Debatte steht.
Der Politologe und ehemalige SP-Nationalrat aus dem Kanton Jura, Jean-Claude Rennwald, weiss, weshalb das letzte Wort in der Jurafrage noch nicht gesprochen ist.
SRF: Die Schweiz gilt ja als ein Vorzeigemodell für direkte Demokratie und Föderalismus. Ist es da nicht seltsam, dass man so lange keine Lösung für das Problem der jurassischen Minderheit fand?
Jean-Claude Rennwald: Es handelte sich da um ein besonderes Problem. Es ging nicht nur um kulturelle und sprachliche Fragen, sondern auch um soziale und ökonomische Ungleichheiten im Verhältnis zum deutschsprachigen Teil des Kantons Bern.
Ich glaube sogar, wenn der Kanton Bern massiv in die Infrastruktur im Jura investiert hätte, wäre die autonomistische Bewegung nicht so mächtig geworden.
Es gibt auch andere Gründe, warum der Konflikt so lange nicht gelöst wurde: Bern war immer ein mächtiger Kanton innerhalb der Eidgenossenschaft. Er konnte dort auch lange Zeit seine Sicht der Dinge durchsetzen.
Im Kampf um einen eigenständigen Kanton argumentierten die Autonomisten sehr stark mit ethnischen Begriffen – finden Sie das problematisch?
Persönlich hatte ich immer etwas Mühe mit dem Wort «Ethnie». Der Begriff wurde vor allem von Roland Béguelin, einem der Gründer der separatistischen Bewegung, benutzt. Bei vielen löste er schlechte Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg aus. Man kann Ethnie aber auch als Einheit jener ansehen, die dieselbe Sprache sprechen.
Gibt es heute im Jura kritische Stimmen zum ethnischen Diskurs von damals?
Jene, die immer noch ethnisch argumentieren, sind in der Minderheit. Heute steht eher im Vordergrund, was der Kanton für seine Bevölkerung tun kann.
Welche Rolle spielte die Konfession bei dem Konflikt?
Es wäre falsch zu sagen, dass die Religion für die Trennung des Juras eine Rolle spielte. Aber: Es wäre auch falsch zu behaupten, dass die Religion gar keine Rolle spielte.
Der bedeutendste separatistische Leader war der Protestant Roland Béguelin. Auf der pro-bernischen Seite war die führende Person Geneviève Aubry, eine Katholikin. Man sollte bei diesem Thema sehr nuanciert bleiben.
Auf lange Sicht wird man über einen Kanton des Jurabogens nachdenken müssen, mit dem Berner Jura und dem Kanton Neuenburg.
1979 wurde der Kanton Jura gegründet, allerdings nur mit dem Nordjura. Der Süden blieb beim Kanton Bern. Eine Niederlage?
Eine Niederlage, weil die Autonomisten einen Kanton für den ganzen französischsprachigen Jura forderten. Trotzdem war es sehr wichtig, diesen Kanton zu gründen.
Auf lange Sicht wird man über einen Kanton des Jurabogens nachdenken müssen, mit dem Berner Jura und dem Kanton Neuenburg. Ein solcher Kanton hätte in der Eidgenossenschaft ein grösseres Gewicht.
Man sagte schon vor 30, 40 Jahren, dass es nicht mehr zeitgemäss sei, einen neuen Kanton zu gründen. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall.
Ich befinde mich mit dieser Sicht allerdings in einer Minderheit im Kanton. Ich stelle immer mehr fest, dass bei diesen Diskussionen die objektiven Elemente wenig Gewicht haben. Die Bauchgefühle dominieren.
Apropos Bauchgefühle: Geht es in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Moutier, wo die Hälfte der Bevölkerung den Kanton Bern verlassen möchte um jurassisch zu werden, nicht wesentlich um Bauchgefühle? Ist das nicht ein Kampf einer anderen, vergangenen Zeit?
Man sagte schon vor 30, 40 Jahren, dass es nicht mehr zeitgemäss sei, einen neuen Kanton zu gründen. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Man kann für ein grosses geeintes Europa sein, und gleichzeitig innerhalb dieses Rahmens als kleine Einheit seine Identität, seine Sprache und seine Interessen beanspruchen.
Das Gespräch führte Martin Heule.