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Kunst Arnold Odermatt: Vom Landjäger zum Shootingstar der Fotokunst

Der Dorfpolizist Arnold Odermatt wurde an der Biennale 2001 sozusagen über Nacht zum Star. Während 60 Jahren hat er Verkehrsunfälle, aber auch Szenen aus dem Privatleben fotografisch dokumentiert. Entdeckt hat das Werk sein eigener Sohn – geadelt wurde es durch Harald Szeemann.

Der heute 88-jährige Arnold Odermatt trat mit 23 Jahren in den Polizeidienst ein und wurde 1990 als Chef der Verkehrspolizei pensioniert. Während dieser Zeit entstanden unzählige Fotographien. Tatorte und Sachschäden hielt Odermatt jeweils in reduzierter Art und Weise fest: Die Opfer sind abtransportiert und Blut ist nie zu sehen. Die verbeulten Autos erzählen Geschichten, die noch heute berühren.

Auch nach der Pensionierung fotografierte der leidenschaftliche Autodidakt weiter. Bilder aus dem privaten Bereich, aus seiner Heimat Nidwalden. Seilbahnen etwa oder Bäume.

Auf dem Dachboden vergessen

Dass die Fotos überhaupt an die Öffentlichkeit gelangten, ist seinem Sohn Urs Odermatt zu verdanken. 60'000 Negative lagerten in Archivschachteln auf dem Estrich, bis Urs Odermatt, Regisseur und Autor, die Bilder auf dem elterlichen Dachboden entdeckte. Er recherchierte für seinen Spielfilm «Wachtmeister Zumbühl» (1994), der in den 60er-Jahren spielte. Die Fotos sollten den Sohn inspirieren, doch ihre Wirkung war viel stärker, und so nahm eine Erfolgsgeschichte ihren Anfang.

«Der Fund hat mein Drehbuch sehr verändert. Sehr viele Fotos sind im Film zu sehen. Arnold Odermatts eigene Aufnahmetechnik mit dem brennenden Magnesiumpulver ist im Film eine Schlüsselszene geworden. Ohne Wachtmeister Zumbühl wäre sein Werk im Dachboden vermodert und bei seinem Tod unerkannt entsorgt worden», erzählt Urs Odermatt

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Arnold Odermatt: «Er ist nicht nur mein Sohn.»
Aus Sternstunde Kunst vom 06.10.2013.
abspielen. Laufzeit 29 Sekunden.

Harald Szeemann ist begeistert

Urs Odermatt gab mehrere Fotobücher heraus, die in der Kunstwelt für Aufsehen sorgten. Zu sehen sind darin Bilder von Unfällen, Autowracks, die wie surreale Schrottskulpturen in den Himmel ragen. Tragödien, die zeigen, wie schnell plötzlich alles ganz anders sein kann. Es sind durchkomponierte Bilder von hoher Intensität.

Auch der Kurator Harald Szeemann sah Odermatts Bilder, und er war begeistert. Er stellte sie an der 49. Biennale 2001 in Venedig aus. Aus dem bescheidenen Dorfpolizisten wird so ein Star der internationalen Fotokunst.

Es gab kein Geld – Kodak war teuer

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Arnold Odermatt: «Um einen zweiten Bleistift musste man kämpfen.»
Aus Sternstunde Kunst vom 06.10.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 10 Sekunden.

Arnold Odermatt setzte den Arbeitsalltag der Nidwaldner Polizei gekonnt in Szene: Mit attraktiven Alltagsbildern und schneidigen Polizisten wollte er für diesen Beruf werben. Auch seine Familie und sich selber fotografierte er immer wieder. Die ganze Familie wurde herausgeputzt und musste dem Vater Modell stehen. Anstrengend für alle.

Das Geld war in den 50er-Jahren knapp, Arnold Odermatt musste Schreibmaschine und Fahrrad selber in den Dienst mitbringen. Urs Odermatt sagt: «Kodak war teuer. Es gab kein Geld. Und ein Foto pro Motiv musste reichen. Selbstverständlich musste es perfekt sein. Die Familie sollte und wollte lächeln. Dies mit schmerzenden Knochen und zittrigen Beinen. Nach endlosem Warten. Die Stimmung war im Eimer. Sollte bloss keiner merken, die Fotos wurden herumgezeigt. Und wir waren schliesslich die Familie des Dorfpolizisten. Mit Vorbildprimat. Also: Zähne zusammenbeissen und lächeln. Länger. Noch. Moment, die Schärfe. Lächeln.»

Beissende Gerüche aus dem Badezimmer

Zur Person

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Urs Odermatt, geboren 1955, arbeitet als Regisseur für Film und Theater. Er gibt seit 1993 das fotographische Werk seines Vaters heraus. Auswahl seiner Spielfilme: «Gekauftes Glück», «Wachtmeister Zumbühl», «Der böse Onkel»

Zu Urs Odermatts frühesten Kindheitserinnerungen gehören auch beissende Gerüche aus dem Badezimmer: «Da die Nidwaldner Polizei lange Zeit kein eigenes Fotolabor besass, und Arnold Odermatt als rechtschaffener Beamter auch später seine zivilen Fotos stets ohne Rücksicht auf unsere Nase im privaten Badezimmer und nicht im Dienstlabor entwickelte und vergrösserte, hat sich in meiner Jugend die Fotographie vor allem als übelriechende Variante der zeitgenössischen Kunst eingeprägt.

Dies im Gegensatz zu meinen romantischen Vorstellungen von Kunst, die ich mir vielleicht hässlich, aufrüttelnd und verstörend vorstellen konnte, aber stets wohlriechend und nicht von so üblem Gestank wie jener, der aus unserem Badezimmer kam. Vielleicht habe ich deshalb die Arbeiten von Arnold Odermatt so spät entdeckt.»

In den vergangenen Jahrzehnten sind viele Fotobücher im Steidl Verlag herausgekommen. Die eindrücklichen Bilder lassen die 50er- und 60er-Jahre wieder aufleben und zeigen eine Schweiz, die uns irgendwie vertraut ist, und dennoch unbekannt.

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