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Über die Ausstellung «Über Folter spricht man nicht!»
Aus Kultur-Aktualität vom 19.09.2023. Bild: Jose Domingo Cañas 1367 im Viertel Ñuñoa © José Giribás Marambio
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Ausstellung in Zürich Militärdiktatur in Chile: Folter war an der Tagesordnung

Orte des Grauens, denen man das Grauen nicht ansieht: Eine Ausstellung zeigt 50 Jahre nach dem Putsch das Ausmass der Gräueltaten unter der Militärdiktatur in Chile und Porträts von Überlebenden.

Drei unscheinbare Bilder stehen am Anfang der Ausstellung «Über Folter spricht man nicht!» in der Photobastei Zürich. Fotos von Bodenbelägen: Kieselsteine, Holz, Stein.

«Die Fotos wirken harmlos», sagt Romano Zerbini, Direktor der Photobastei und Kurator der Ausstellung. «Aber es sind Bodenbeläge ehemaliger Folterstätten. Über diese Fotos nehmen wir die Perspektive jener Menschen ein, die gefoltert wurden».

Runder Gang in einem alten Stadion, grosse Bodenplatten, hohe Wände, Elektro-Leitungen, LED-Leuchten an der Decke
Legende: Die unmenschliche Folter in Chile fand häufig an unscheinbaren Orten statt: in einem Fussballstadion, Privathäusern, einer Siedlung. Estadio Nacional, Santiago, Chile © José Giribás Marambio

Sie wussten nicht, an welchen Ort sie gebracht wurden. Nur durch einen kleinen Schlitz in der Augenbinde konnten sie den Boden erkennen und später so den Ort ihrer Folter identifizieren.

Politische Gegner gefoltert

Vor 50 Jahren putschte das Militär in Chile mit Unterstützung der US-Regierung gegen die demokratisch gewählte Regierung. Der sozialistische Präsident Salvador Allende beging Selbstmord, um der Gefangenschaft durch das Militär zu entgehen.

Die Militärjunta unter Diktator Augusto Pinochet errichtete eine Schreckensherrschaft und verfolgte ihre politischen Gegner und Gegnerinnen erbarmungslos. Folter war an der Tagesordnung.

Die Junta richtete über 1200 Gefängnisse und Folterstätten ein. Der deutsch-chilenische Fotograf José Giribás Marambio hat diese Orte dokumentiert. Ihm gelang es zu fliehen, wenige Monate nach der Machtübernahme Pinochets. Später kehrte er nach Chile zurück und fotografierte nicht nur Folterstätten, sondern auch Überlebende.

José Giribás Marambio und das Pinochet-Regime

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Dem deutsch-chilenischen Fotograf gelang es, im Dezember 1973 mithilfe des «Komitees für den Frieden» aus Chile zu fliehen. Seit 1986 ist er mehrfach nach Chile gereist und dokumentierte unter anderem Demonstrationen gegen das Pinochet-Regime.

Im Jahr 2016 begleitete er den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck bei einem offiziellen Besuch in Chile. Dabei besuchten sie in Santiago auch das «Museum der Erinnerung» und die «Villa Grimaldi». Im selben Jahr, 26 Jahre nach dem Ende des Pinochet-Regimes, entschuldigte sich Frank-Walter Steinmeier. Der damalige deutsche Aussenminister gestand Fehler der deutschen Diplomatie in Bezug auf die Verbrechen der «Colonia Dignidad», eines der Folterzentren, ein.

Das späte Eingeständnis auch deutscher Schuld, die Eindrücke der Reise mit dem Bundespräsidenten und die Tatsache, dass über die Folterungen in Chile immer noch nicht gesprochen wird, motivierten Giribás, einige Folterstätten zu dokumentieren. Er sprach mit Überlebenden, hielt ihre Geschichten fest und porträtiere sie.

Das Banale im Bösen

Die Porträts sind schwarz-weiss, die Fotos der Folterstätten farbig. «Die Farbfotos wirken sehr normal. Es unterstreicht das Banale in diesem Bösen», so der Kurator. Es sind Orte des Grauens, denen man das Grauen nicht ansieht.

Zum Beispiel die «Venda Sexy», ein bürgerliches Privathaus. Hier wurden Menschen sexuell gefoltert, daher der Name. Rund 100 Personen waren hier inhaftiert, 32 gelten bis heute als vermisst.

Besonders berüchtigt war die Polizistin Ingrid Olderrock, Tochter deutscher Einwanderer mit nationalsozialistischem Hintergrund. «Sie richtete ihren Schäferhund darauf ab, zu vergewaltigen», so Zerbini.

Das ist harte Kost. Die Diskrepanz zwischen den unscheinbaren Orten und der grenzenlosen Brutalität lässt einen frieren.

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Unvorstellbares Leid

Der Kälte widersetzen sich die Porträts der Überlebenden, politisch Gefangene, die an diesen Orten gefoltert wurden. Sie sind heute betagt, manche bereits verstorben. So wie Adriana, sie starb 2019, ohne Gerechtigkeit erfahren zu haben. Adriana wurde in der «Venda Sexy» gefoltert.

Alte Frau mit Brille sitzt auf einer Bank, die Hände verschränkt. Sie trägt Rollkragenpullover, Halstuch und Weste.
Legende: Adriana Bórquez Adriazola war Mitglied der kommunistischen Partei, Pinochets Schergen verhafteten sie 1975. Sie wurde in der «Venda Sexy» gefoltert. Adriana Bórquez Adriazola © José Giribás Marambio

Neben dem Porträt ein Zitat von ihr: «Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ein Mensch solche Demütigungen erleiden kann und nie hätte ich geglaubt, zu welchen Exzessen der Sadismus führen kann. Nie, weder vorher noch nachher, konnte ich auf tragische Weise meine eigene Zerbrechlichkeit, aber auch meine eigene Stärke ermessen. Im Angesicht der Folter habe ich die Kraft der inneren Würde erfahren (…).»

Die Männer und Frauen haben die Hände auf den Porträtaufnahmen häufig gefaltet. Ihr Blick manchmal müde, manchmal entschlossen, gar versöhnlich. Und immer irgendwie entrückt von dieser Welt und ihrem Grauen

Alter Mann mit einem Gehstock in der Hand sitzt auf einem Sessel, hinter ihm Kamin, Zimmerpflanzen, Bilder an der Wand
Legende: Armando Mena Matamala überlebte das Folterhaus «Nido 20». © José Giribás Marambio

Die Ausstellung zeigt nicht nur das Ausmass der Folter und die Widerstandskraft der Menschen, sondern auch den Kampf gegen das Verdrängen und für die Aufarbeitung der Gräueltaten.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Über Folter spricht man nicht!» ist bis 8. Oktober 2023 in der Photobastei Zürich zu sehen.

Radio SRF Kultur, Kultur Aktuell, 19.09.2023, 17:10 Uhr

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