Ein neues «Dada-Manifesto» soll entstehen. Wozu möchten Sie sich damit bekennen?
Anita Hugi: Es geht weniger darum, ob ich für oder gegen etwas bin. Es geht um den gemeinsamen Akt des Findens, der Zusammenarbeit.
David Dufresne: Mit dem «Dada-Manifesto» möchten wir Menschen vereinen, die von Dada inspiriert sind. Es geht auf keinen Fall darum, Dada-Spezialisten zu versammeln. Gemeinsam soll etwas entstehen, das den Geist von Dada feiert. Es ist eine Einladung zu einem besonderen Event, wie zu einem Boxkampf, bei dem man gemeinsam in den Ring steigt. Mit dem Unterschied: Man kennt weder das Ziel des Kampfes, noch die Kämpfer, noch wer welche Rolle übernimmt. Wir wissen nur, dass es Kaffee und Internetzugang gibt. Das ist das einzige, was heute zählt.
Anita Hugi: Und es ist eine kleine Hommage an den Dichter Arthur Cravan, einen Vordenker von Dada, der auch Amateurboxer war.
David Dufresne: Das Cabaret Voltaire wird für 30 Stunden geöffnet sein, und es wird einen Live-Stream auf «Dada-Data» geben. Wir hoffen auf Studenten, Designer, Programmierer, Metzger, Whistleblower, Maler, egal – auf jeden, der ein digitales Manifest verfassen möchte.
Wobei die Form offen ist. Wir wissen nicht, was es werden wird. Es kann eine App sein, eine Webseite, eine Dienstleistung oder auch eine Deklaration. Wir wissen es nicht. Die Idee ist, Menschen zu vereinen, für eine ganze Nacht, die den Drang verspüren, die Welt zu verändern. Wir werden das Chaos lediglich organisieren. Aber den Ausgang kennen wir nicht.
Sehen Sie sich mit dieser Ausgangslage in der Tradition der Dadaisten?
Anita Hugi: Ja, ich glaube wir sind damit sehr nah an Hugo Ball. Er wollte, dass das Cabaret Voltaire für alle offen ist. Jeder sollte kommen und zeigen, was er zeigen möchte. Nicht nur Kunst. Die Dadas luden jeden ein.
Moderiert wird das «Dada-Manifesto» vom Autor McKenzie Wark . Er hat nicht nur eine profunde Kenntnis über die Dada-Bewegung, er ist auch sehr erfahren in gemeinschaftlichen, künstlerischen Arbeitsprozessen.
Zu Hause kann ich auch teilnehmen?
David Dufresne: Ja, durch einen Chat und einen Livestream.
Welche Sprache sollte man sprechen?
David Dufresne: Die Sprache ist egal. Es ist auch egal, ob sie dem politisch rechten oder linken Flügel angehören.
Anita Hugi: Nein, nur keine Flügel ...
David Dufresne: Ja, du hast recht, keine Flügel. Dafür vor allem Menschen, die denken.
Den Abschluss des «Dada-Manifestos» bildet die Begräbnisband «Dead Brothers». Warum diese Band?
Anita Hugi: Sie sind transeuropäisch. Die Zusammensetzung der Band wechselt immer wieder, sie sprechen und singen in vielen Sprachen. Das passt alles sehr zu Dada. Ausserdem haben sie uns überzeugt mit ihrer Interpretation von Dada. Der Soundtrack, den sie für die Webdok «Dada-Data» entwickelt haben, ist recht melancholisch. Das hat mich zunächst überrascht.
Man vergisst nämlich schnell die Umstände, in denen Dada geboren wurde. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs. Viele Künstler hatten Familie, Freunde, Nachbarn, die auf sehr brutale Weise umgekommen sind. Der Sound bringt uns also ein wenig zurück zum Kontext. Die Musik ist verrückt, aber auch traurig. Die «Dead Brothers» sind aber auch eine Live-Performance-Band. Und wenn es bei Dada um etwas ging, dann auch um den Auftritt, das Schauspiel.
David Dufresne: Dada kommt aus dem Bauch, wie Rock n Roll. Und in erster Linie sind die «Dead Brothers» eine Rock 'n' Roll-Combo. Sie spielen auf ganz alten Instrumenten, auf Instrumenten, die sonst kaum jemand spielt. Doch sie verwenden die Instrumente auf die Rock 'n' Roll, die Dada-Weise. Aus dem Bauch, nicht intellektuell.