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Viel zu hohe Erwartungen? Ann Demeester über ihren neuen Job
Aus Kultur-Talk vom 30.09.2022. Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally
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Gespräch mit Ann Demeester Neue Kunsthaus-Chefin: «Ich würde mich gern entschuldigen»

Mit der Bührle-Sammlung schlitterte das Kunsthaus Zürich in die Krise. Nun tritt mit Ann Demeester eine neue Direktorin an, die die Probleme lösen soll. Aber wie?

Sie habe leider keinen Zauberstab, sagt Ann Demeester immer wieder. Und nein, sie bereue es nicht, den Job am Kunsthaus Zürich angenommen zu haben.

Die neue Museumsdirektorin absolviert derzeit ein Interview nach dem anderen in der vornehmen Jugendstilvilla, in der das Zürcher Kunsthaus seine Büros hat. Trotz drängender Probleme scheint sie ihre gute Laune nicht zu verlieren.

Wie weiter mit Bührle?

«Wir brauchen Zeit, um gute Lösungen zu erarbeiten», sagt die gebürtige Belgierin, die acht Jahre lang das Frans-Hals-Museum im niederländischen Haarlem leitete. Eines der drängendsten Probleme am Kunsthaus ist die Präsentation der umstrittenen Bührle-Bilder: Wie sollen sie gezeigt werden?

Der zeithistorische Kontext von Flucht, Enteignung und Holocaust wird derzeit ungenügend vermittelt, Emil Bührle unkritisch als Wohltäter präsentiert.

Die Bührle-Bilder – Chronologie einer Krise

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Emil Bührle erwarb ab den 1930er-Jahren viele wertvolle Kunstwerke, u.a. von Renoir, Manet oder Cézanne. Seine Sammlung zählt viele Meisterwerke, gilt aber als belastet, weil Bührle sie mit Gewinnen aus dem Waffengeschäft erwarb.

Er profitierte als Industrieller vom NS-Regime und als Sammler von der Judenverfolgung. Bührle erwarb Bilder, die er nach dem Krieg als NS-Raubkunst an die früheren Eigentümer, jüdische Sammlerinnen und Sammler, zurückgeben musste.

Problematische Verkäufe?

In der Sammlung befinden sich auch Werke, die jüdische Sammler in Notlagen auf der Flucht vor dem NS-Regime verkaufen mussten – auch in der sicheren Schweiz. Die Frage steht im Raum, ob es richtig ist, dass solche Bilder nach wie vor der Stiftung Bührle gehören. Oder ob sie nach Analyse des Einzelfalls als NS-verfolgungsbedingte Entzüge zu restituieren sind.

Ein Drittel von Bührles Kunstsammlung wurde nach seinem Tod der Bührle-Stiftung übergeben. Diese Werke gelangten letztes Jahr als Leihgaben ans Kunsthaus Zürich. Die Provenienzen der Bilder erforschte der damalige Direktor der Bührle-Stiftung, Lukas Gloor.

Die Stiftung untersuchte trotz Befangenheit also selbst, wem Bührles Bilder vorher gehörten und wann, bzw. unter welchen Umständen, sie in seinen Besitz kamen. Wenig überraschend kam Gloors Forschung zum Schluss, dass keine heiklen Bilder ans Kunsthaus gehen. Stadt und Kanton Zürich übernahmen diesen Befund.

Budget für Bührle

Für die Bührle-Bilder und weitere Privatsammlungen erstellte das Kunsthaus Zürich den Erweiterungsbau von David Chipperfield. 2012 haben die Stimmberechtigten der Stadt Zürich dafür einen Kredit von 88 Millionen Franken bewilligt. Und: das grössere Haus wird seit 2021 mit deutlich mehr Mitteln der öffentlichen Hand subventioniert. Die jährliche Unterstützung des Kunsthauses seitens der Stadt Zürich stieg um 4,5 Mio. auf 12,8 Mio. Franken jährlich an. Das ist ein grosser Teil des gesamten Museumsbudgets.

Doch die Eröffnung des neuen Kunsthauses im Herbst 2021 wurde kein glanzvoller Höhepunkt. Viele Medien monierten die unklare Provenienzlage der Bührle-Bilder. Auch Historikerinnen und Historiker der Bergier-Kommission forderten geschlossen eine unabhängige Überprüfung. Die Stadt Zürich vollzog eine spektakuläre Kehrtwende und unterstützte diese Forderung plötzlich auch. Das Kunsthaus wirkte mit dem Krisenmanagement lange überfordert.

Noch im Dezember 2021 verkündeten Lukas Gloor von der Bührle-Stiftung und Kunsthaus-Direktor Christoph Becker, mit der Bührle-Sammlung sei alles in bester Ordnung. Ein halbes Jahr später schlug Ann Demeester andere Töne an: «Problem erkannt», so die Botschaft ihres ersten Medienauftritts.

Sind unter den Bührle-Werken Bilder, die allenfalls zurückgegeben werden müssten? Kürzlich fand die erste Sitzung des runden Tisches statt, der – unabhängig von Stiftung, Kunsthaus, Stadt und Kanton Zürich – festlegen soll, wer diese Frage untersucht. Das wird dauern.

Provenienzforschung soll profitieren

Unterdessen will Demeester bis Ende 2023 die Vermittlung der umstrittenen Bührle-Leihgaben im Kunsthaus Zürich überarbeiten. Wie genau, das sei noch offen, sagt die Direktorin.

Aber man will sich dafür in Zürich Hilfe holen und mit anderen Museen vernetzen, die bereits Lösungen für den Umgang mit schwierigen Vergangenheiten entwickelt haben. Als schnelle Massnahme werde eine Broschüre mit den Geschichten der Voreigentümer von Bührles Bildern herausgeben.

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Aus dem Archiv: Das ist die Sammlung Bührle
Aus Kulturplatz vom 08.12.2021.
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Auch die Provenienzforschung fürs eigene Haus will Ann Demeester ausbauen. Auf Nachfrage präzisiert sie: Die nötigen Mittel dafür seien noch nicht gefunden. Die 47-jährige Direktorin will Fragen zu und Kritik an den Provenienzen der Werke in der Kunsthaus-Sammlung nicht mehr einfach ignorieren, sondern eine Haltung dazu entwickeln.

Lösungen für Verdachtsfälle

Die Kunstmuseen von Basel und Bern haben eine solche Haltung in den letzten Jahren erarbeitet: Beide Museen übergaben einzelne Werke an die Erben früherer Eigentümerinnen und Eigentümer oder fanden faire Lösungen dafür.

Ein wichtiger Punkt dabei: Es gab jeweils starke Hinweise auf eine verdächtige Provenienz, zum Beispiel ein Händlername, der mit NS-Raubkunst in Verbindung steht. Auf Beweise dafür stiess die Forschung allerdings nicht. Weil die Museen dennoch Lösungen fanden, gelten sie in der Schweiz als Pioniere.

Ob die künftige Haltung am Kunsthaus Zürich sich beim Umgang mit belasteten Werken von Bern und Basel inspirieren lässt, kann Ann Demeester noch nicht sagen. Der Prozess beginne erst. «Das klingt wieder wie eine Verzögerung, aber das ist es nicht. Wenn man etwa grundsätzlich angehen will, muss man sich dafür Zeit nehmen.»  

Mit offenem Visier

Die neue Direktorin kann Kommunikation. Sie hat in den Niederlanden regelmässig Fernsehauftritte als Kulturvermittlerin absolviert. Während der Coronakrise engagierte sie sich als Fürsprecherin der Kultur.

Demeester spricht auch offen und freundlich über wunde Punkte. Ob «Unlearning» oder «Polyphonie»: Die Belgierin platziert die Buzzwords der zeitgenössischen Museumsarbeit locker im Gespräch und wirkt trotzdem glaubwürdig.

Die geübte Kommunikatorin bei einem Medienfrühstück im Juni 2022 im Kunsthaus Zürich.
Legende: Die geübte Kommunikatorin bei einem Medienfrühstück im Juni 2022 im Kunsthaus Zürich. Am 1. Oktober tritt Ann Demeester ihr neues Amt offiziell an. KEYSTONE/Michael Buholzer

Früher seien Museen Tempel gewesen, unantastbar, der Welt enthoben, sagt Demeester: «Das hat sich in den letzten zehn Jahren geändert.» Heute besässen Museen Expertise, aber sie seien nicht mehr unfehlbar. Auch Museen machten Fehler, sagt die Museumsfrau selbstkritisch. «Und aus diesen Fehlern müssen wir lernen.»

Keine Fehlerkultur in Zürich

Gehört zu einer guten Fehlerkultur nicht auch, sich die Fehler überhaupt erst einzugestehen? Etwas, das in Zürich nach der Bührle-Krise weder Kunsthaus noch Stadt oder Kanton getan haben. Demeester nickt und erläutert die Zwickmühle, in der sie steckt: «Ich würde mich gerne entschuldigen, aber ich fürchte, ich bin nicht die Richtige dazu. Als Neue wirkt das wohl auch billig und sicher zu einfach.»

Umso wichtiger sei ihr, die Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen und gemeinsam mit ihrem Team Veränderungen anzugehen. Das ist schön gesagt, wenn auch noch wenig konkret.

Philipp Hildebrand und Ann Demeester
Legende: Wollen transparent Probleme lösen: Philipp Hildebrand, Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, und die neue Direktorin des Kunsthauses Zürich Ann Demeester. KEYSTONE/Gaetan Bally

Zeit also für Fakten und Zahlen: Über 380'000 Besucherinnen und Besucher zählte das Kunsthaus Zürich 2021 und auch jetzt bereits im Jahr 2022. Das ist eine enorme Steigerung zu 2020. Kein Wunder: Alle wollten ins Kunsthaus und den neuen Chipperfield-Bau sehen.

Demeester bestätigt: Die Vorgabe von oben lautet, diese Zahlen zu halten. Laut Businessplan der Betreiberin des Kunsthauses, der Zürcher Kunstgesellschaft, soll sie diese Besucherzahlen auch in Zukunft erzielen – auch wenn die Eröffnung längst Geschichte ist.

Quantität ist nicht alles

Ist das zu schaffen? Die Direktorin bleibt die Ruhe selbst. Zahlen und Quantität seien wichtig, sagt sie: «Aber noch wichtiger ist mir Qualität, also die Frage: Wen erreichen wir? Und vor allem: Wen erreichen wir noch nicht?»

Das Kunsthaus Zürich stellt sein Programm für 2023 vor

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Der künstlerischen Rezeption des Islam widmet das Kunsthaus Zürich nächstes Jahr eine grosse Ausstellung. Auf dem Programm stehen ausserdem eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Schweizer Fotografen Ernst Scheidegger und zwei dialogische Shows: Eine widmet sich den beiden Männerfreunden Salvador Dalí und Augusto Giacometti, die andere Käthe Kollwitz und Mona Hatoum.

Das Jahres-Programm 2023 plante noch Christoph Becker. Seine Nachfolgerin Ann Demeester tritt ihre Stelle als Direktorin des Kunsthauses Zürich am 1. Oktober an.

Da ist sie wieder: die gute Kommunikatorin. Doch Demeester weiss, dass die Schonzeit für sie als neue Direktorin bald vorüber sein wird. Dann muss sie Lösungen liefern. Die Einarbeitungsphase jedenfalls vermittelt sie bestens.

Vielleicht kommt das Kunsthaus unter der neuen Direktorin ja tatsächlich einen entscheidenden Schritt weiter. Als sie ihren Job am Frans-Hals-Museum angetreten habe, sei das Haus mit der prächtigen Sammlung an niederländischer Malerei aus dem 17. Jahrhundert den Anforderungen der Gegenwart nicht gewachsen gewesen. Wie vermitteln wir den Kolonialismus, sei eine ihrer ersten Fragen gewesen, berichtet Demeester. Muss das sein, war die Antwort.

Frau mit orangem Kleid vor Gemälden aus dem 17. Jahrhundert
Legende: Ann Deemeester 2010 im niederländischen Frans-Hals-Museum: Als Direktorin sorgte sie dafür, dass auch der Kolonialismus einen Kontext für die ausgestellte Kunst darstellte. Kunsthaus Zürich/Jacqueline De Haas

Dass das viel beschworene «Goldene Zeitalter» und die fantastische Malerei ohne das koloniale Unrechtssystem der Niederlande nie existiert hätten, das ist heute aus der Museumsarbeit in den Niederlanden nicht mehr wegzudenken.

Die Entwicklung, die das Land in den letzten Jahren durchgemacht hätte, sei markant, sagt Demeester. Vielleicht passiert in der Schweiz nun im Umgang mit der eigenen Vergangenheit Ähnliches. Ann Demeester wäre für einen neuen Umgang mit Vergangenheit gewappnet.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 29.09.2022, 16:30 Uhr;

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