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Kunst In der Türkei brodelt es, aber die Kunst blubbert bloss

Brennende Themen beschäftigen die Türkei: Anstehende Neuwahlen, die Kurdenfrage und der Umgang mit den syrischen Flüchtlingen. Gleichzeitig findet in Istanbul die Biennale statt – eine der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt. Kann Kunst etwas ausrichten, wenn eine politische Krise herrscht?

Die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev mag es ganz gross. Die Italo-Amerikanerin jettet um die Welt und richtet die grossen Kunst-Happenings unserer Zeit aus. Nachdem sie 2012 die Documenta in Kassel geleitet hat, entwickelte sie in diesem Jahr das Konzept für die Biennale in Istanbul. «Tuzlu Su», Salzwasser, taufte sie den Kunst-Mega-Event, der dezidiert politisch sein will.

Porträt Carolyn Christov-Bakargiev
Legende: Carolyn Christov-Bakargiev, kurz «CCB», hat die diesjährige Istanbul Biennale kuratiert. Giorgio Perottino/Catello di Rivoli-GAM and Fondazione Torino Musei

Gut so, denkt man als Besucher vor Ort. In einer Zeit, in der Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinen Gegnern wenig zimperlich umgeht und kritische Journalisten und Künstler verstummen lässt, braucht die Türkei dringend neue Impulse für Politik und Gesellschaft. Die liefert die 14. Kunst-Biennale in Istanbul auch, zumindest teilweise.

Ein Rot, das nicht für Blut steht

Die junge türkische Künstlerin Aslı Çavuşoğlu zeigt in der Istanbul Modern ihre Arbeit «RED/RED». Darin zeichnet sie die Entwicklung einer speziellen roten Farbe nach, die einst ein Symbol für die Verbindung zwischen der türkischen und der armenischen Kultur war. Nach dem Völkermord an den Armeniern ging das Wissen um die Herstellung der charakteristischen Rots vergessen.

Ohne über die Vergangenheit nachzudenken, könne sie in der Türkei keine kritische Gegenwartskunst produzieren, sagt Çavuşoğlu. Die Vergangenheit sei in diesem Land immer auch im Heute, weil viele Diskussionen noch gar nicht geführt worden seien.

Der Genozid an den Armeniern jährt sich zum 100. Mal. Mehrere Positionen an der Biennale nehmen sich dem Thema an. Andere dringlichen Themen, wie der sich zuspitzenden Kurden-Konflikt oder der Umgang mit den 2,5 Millionen syrischen Flüchtlingen im Land, kommen nicht vor. Stattdessen bietet die Biennale einen vielfältigen Kunst-Mix an, verteilt auf 36 Standorte in der ganzen Stadt.

Cool, aber nicht unbedingt politisch

Immer wieder gelingen spannende Verbindungen zwischen der Kunst und dem urbanen Alltag Istanbuls. Etwa bei einer Klang-Installation des türkischen Künstlers Cevdet Erek, mit der er eine leergeräumte Autogarage bespielt. Dort, wo früher Reifen gewechselt und Lackierungen erneuert wurden, erklingen jetzt rhythmische Geräusche aus weissen Boxen.

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Man wähnt sich auf einem fremden Planeten und kann dabei gleichzeitig durch die grosse Fensterfront in die belebten Istanbuler Strassen schauen. Beeindruckend und irgendwie cool. Aber politische Kunst ist das nicht.

Kunstschauen als Marathonaufgabe

Unter dem Salzwasser-Motto «Tuzlu Su» lässt sich viel zusammentragen. Das hat Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev getan. Konsumkritische Kunst, wachstumskritische Kunst, ökopoetische Kunst, immer wieder ahnt man, was im Grösseren gemeint sein könnte, aber es bleibt unklar.

Dazu kommt, dass bei dieser Biennale-Ausgabe Kunstschauen eine Marathonaufgabe ist. Die Wege zwischen den 1500 Werken sind teilweise sehr weit. Oft schafft die Stadt stärkere Bilder als die Kunst – die Bezüge zwischen den Biennale-Orten gehen verloren.

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Ins Salzwasser gestellt

Die 500'000 Besucher werden meist verschont von politischer Dringlichkeit. Die Kunstschau hat aber ihre starken Momente. Wer auf der berühmten Prinzen-Insel vor den riesigen Plastik-Tieren des argentinischen Künstlers Adrián Villar Rojas steht, muss fast ergriffen sein ob der schneeweissen Plastik-Kolossen, die mit allerlei Hölzern und Ästen beladen, wie bestellt und nicht abgeholt im Meer rumstehen.

Giraffen, Elefanten und Bären, verloren im Salzwasser. Moderne, wuchtige Poesie. Hinter dem Kunst-Zoo – am Horizont – sind die Umrisse Istanbuls zu erkennen. Eine Stadt in einem Land, das unbedingt neue, gesellschaftliche Perspektiven bräuchte und halt doch konkretere politische Impulse. Die liefert die Biennale nicht.

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