«Wir können alles messen!», sagt der Künstler Jamie Allen zur Eröffnung der Transmediale in Berlin. Im Haus der Kulturen der Welt stehen überall Kameras auf Stativen. «Und Sensoren, Tracker, Pulsmesser», ergänzt Allen und zeigt auf die Screens. Da gibt es Kurven zu sehen. Und die zeigen: den Sauerstoffgehalt im Saal, die Aufmerksamkeit und auch die Verwirrung des Publikums.
Den Kater der NSA-Affäre pflegen
Diese Arbeit von Allen und David Gauthier ist ein lustiger Kommentar auf die Überwachungsdebatte, die in der Kulturszene angekommen ist. Die Form des Kalauers entspricht auch der Verzweiflung. Bruce Sterling, berühmter Sci-Fi-Autor und Technologiejunkie, spricht bei der Transmediale schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche. «Was ich im Gegensatz zu Google oder Apple an der NSA schätze, ist, dass sie mir nicht auch noch Software verkaufen will», witzelt er.
Draussen ist es eisig kalt – das muss niemand messen. Und das Haus der Kulturen der Welt ist ein Kind des Kalten Krieges, die US-amerikanische Regierung hat diesen schönen Bau Ende der 50er-Jahre West-Berlin geschenkt. Als Symbol für eine freie Welt. Was für eine Pointe, ausgerechnet hier den Kater der NSA-Affäre zu pflegen. Denn das Motto des Medienkunstfestivals Transmediale heisst dieses Jahr «Afterglow». Und bezeichnet das Abendrot – wenn der Staub in der Luft die bereits untergegangene Sonne reflektiert.
«1984» lässt grüssen
Die strahlenden Aussichten auf eine digitale Zukunft sind gut hinterm Horizont versteckt. Nicht nur Geheimdienste, sondern auch die wichtigsten Konzerne der Welt haben vor allem eines im Sinn: Jeden Schritt, den wir machen, fein säuberlich aufzuzeichnen. Vor genau 30 Jahren lancierte eine Firma namens Apple ihren ersten Heimcomputer mit einem Werbespot von Ridley Scott. «Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie «1984» sein wird», sagt am Ende der Kommentator und meint George Orwells Literaturklassiker über einen Überwachungsstaat. Heute nennen NSA-Mitarbeiter den verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs «Big Brother», wir iPhone-Benutzer heissen derweil «Zombies». Das Internet ist nicht tot, tot aber ist der unbegrenzte Glaube an seine Möglichkeiten.
«Real Time feels like neither»
Was sich in den 30 Jahren seit dem «Macintosh» und erst recht seit dem Sieg des Breitbandinternets verändert hat, fasst der kanadische Künstler und Autor Douglas Coupland in einfache, aber hintersinnige Slogans . Altmodisch auf farbige Holzrechtecke gemalt, stellt er innerhalb der Transmediale Sätze aus wie: «Acceleration is accelerating» – die Beschleunigung beschleunigt; «There is no shopping on Star Trek» – in Raumschiff Enterprise gab es keine Einkaufsmöglichkeit; «Real Time feels like neither» – Real Time fühlt sich weder nach Realität noch nach Zeit an.
Doch was kommt, nachdem die Party vorbei ist? Was bedeuten Phrasen wie «post-digital Art», «post-Internet Age», oder – wie es Coupland zusammenfasst –: die «Post-Ära Ära»?
Eine Berliner Überwachungstagung hat gerade nahegelegt: Nach dem Nebel der Netzbesoffenheit wird es wieder mehr um politische Handlungsräume und um ökonomische Zusammenhänge gehen. Star-Kritiker Evgeny Morozov sagte, wir müssten das Geschäftsmodell der personalisierten Dienste ändern. Und Jacob Appelbaum, Aktivist und Vertrauter von Edward Snowden und von Assange, rief das Publikum auf, bei Geheimdiensten anzuheuern, um Daten zu «leaken».
Was kommt nach der Party?
An der Clubtransmediale , dem grossen Schwesterfestival der Transmediale, zeigt die Avantgarde der elektronischen Musik, wie der Kater klingt. Oder was nach dem Rausch des Digitalen kommt: das Analoge. Wunderkind James Holden schraubt an analogen Boards herum, dazu legt ein Schlagzeuger einen nervösen Soundteppich, sogar ein Saxofonist ist dabei. Und Moritz von Oswald, ein Pionier des Berliner Techno, spielt im Berghain mit Tony Allen, der einst mit Fela Kuti den Afrobeat erfand.
Politik, Wirtschaft, akustische Instrumente und Beats jenseits des Dancefloors: Das «Nachglühen» des Überwachungsschocks beleuchtet vieles mit neuer Dringlichkeit, das man bereits verschwunden glaubte. In den Trümmern der Euphorie sichtet man gerade ein paar alte Werte neu.