Die Documenta in Kassel ist eine der international bedeutendsten Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst. Doch das Kuratorium und die gesamte letzte Ausgabe vor drei Jahren gerieten wegen Antisemitismus-Vorwürfen massiv in die Kritik. Trotz Besserungs-Versprechen gab es bei der Planung der nächsten Ausgabe erneut Vorwürfe. Im harzigen Prozess ist man nun einen Schritt weiter: Das Kuratorinnen-Team ist bekannt. Kunstkritiker Carsten Probst verrät, was zu erwarten ist.
SRF: Das neu vorgestellte, vierköpfige künstlerische Team der Documenta, das an der Seite der zuvor bereits ausgewählten Leiterin Naomi Beckwith steht, ist rein weiblich. Ist das Zufall oder eine Richtungsentscheidung?
Carsten Probst: Ich gehe davon aus, dass Mayra A. Rodríguez Castro, Carla Acevedo-Yates, Romi Crawford und Xiaoyu Weng Vertrauenspersonen von Naomi Beckwith, der künstlerischen Leiterin der Documenta 16, sind. Hier ist wahrscheinlich weniger das Geschlecht entscheidend, als die Tatsache, dass sie mit diesen Personen in den letzten Jahren bereits sehr eng im musealen Rahmen zusammengearbeitet hat. Es ist also kein Zufall, aber das Geschlecht ist weniger wichtig.
Was verbindet die neuen Kuratorinnen?
Auffallend ist, dass alle vier Frauen, die Naomi Beckwith benannt hat, dem Kontext und dem Selbstverständnis westlicher Kunstinstitutionen entsprechen: sowohl der Museen als auch der angeschlossenen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Sie werden die Regeln nicht überschreiten, so wie es tendenziell bei der letzten Documenta der Fall war.
Die vier Frauen bilden ein solides Team mit sehr viel Expertise, auch in der Forschung. Sie werden sicherlich auch die Rolle von Institutionen im westlichen Kunstbetrieb kritisch thematisieren. Aber sie werden sich an die Regeln dieser Institutionen halten. Sie werden sie nicht überschreiten, so wie es tendenziell bei der letzten Documenta der Fall war.
Was muss das neue Team leisten, um den Ruf der Documenta wiederherzustellen?
Das neue Kuratorium ist berufen, um gewissermassen die Glaubwürdigkeit der Documenta wiederherzustellen. Dafür ist Naomi Beckwith als künstlerische Leiterin benannt worden. Sie muss um jeden Preis vermeiden, dass die Thematisierung etwa von Kunst aus dem globalen Süden, die ja hier eine Rolle spielen soll, sich wieder mit politischen Themen vermischt, die in irgendeiner Weise grenzwertig sind. Sie sagt, es soll keine Überraschungen auf dieser Documenta geben, also keine Kunstwerke, die plötzlich enthüllt werden und potenziell antisemitische Darstellungen zeigen. Die Kuratorinnen sollen ihre Expertise einsetzen und alles kennen, was zu sehen ist. Auch die Haltungen der Künstlerinnen, die eingeladen werden, sollen bekannt sein.
Verrät uns die Auswahl der Kuratorinnen schon, was auf der nächsten Documenta zu sehen sein wird?
Ja, anhand der Tätigkeiten der Personen kann man eine Tendenz erahnen. Es geht einerseits natürlich um das Thema der Kunst des globalen Südens in vielen einzelnen, sehr individuellen Facetten.
Es geht auch um einen feministischen Ansatz, um alternative Konzepte der Kunstvermittlung.
Das Thema spielt bei der Documenta seit fast 30 Jahren eine prägende Rolle und war in der letzten Zeit durch die Antisemitismusvorwürfe etwas ins Gerede gekommen. Ob das überhaupt noch geht, in Ausstellungen? Naomi Beckwith will beweisen, dass es funktioniert. Es geht auch um einen feministischen Ansatz, um alternative Konzepte der Kunstvermittlung – aber eben alles abgedeckt durch den Kanon des westlichen Kunstbetriebs.
Das Gespräch führte Simon Burri.