Als der Engländer Charles Frederick Worth 1846 nach Paris zog, sprach er kein Französisch und hatte gerade mal fünf Pfund in der Tasche. Heute gilt Worth als Vater der Haute Couture, der die Modewelt revolutionierte. Worth war der erste, der Kleiderkollektionen zum Vornherein entwarf, Etiketten mit seinem Namen in die Kleider nähte und seine Entwürfe von lebenden Models präsentieren liess.
Die Mannequins flanierten Anfang des 20. Jahrhunderts durch Pariser Salons und Gärten und beeindruckten die feine Gesellschaft.
Die Geburt der Fashion Week
Paris war lange Zeit das Epizentrum der Mode. Aufgrund der Kriegssituation in Europa fand 1945 in New York die Wanderausstellung «Théâtre de la Mode» statt. Über 40 Pariser Couturiers präsentierten ihre Werke in detailreichen Bühnenbildern. Bald folgten London, Mailand und Paris mit eigenen Modewochen.
Mit dem Aufstieg der Prêt-à-porter-Mode Ende der 1950er-Jahre verlassen Modeschauen die exklusiven Salons und erobern urbane Räume und Subkulturen. Sie werden zu Performances, die den Puls der Zeit reflektieren. So liess sich Paco Rabanne Ende der 1960er-Jahre von der Mondlandung inspirieren und entwarf ein futuristisches Space-Age-Minikleid – ein Statement zwischen Mode und Technologie.
Gleichzeitig werden aber auch kritische Stimmen laut bezüglich Kommerzialisierung und Erfolgsdruck, der in der Modewelt herrscht. So persifliert der Film «Who are you Polly Maggoo?» (1966) das Leben eines amerikanischen Models und den Mythos der ersten Reihe.
Supermodels und Spektakel
Die 1990er-Jahre markieren das goldene Zeitalter der Supermodels: Ikonen wie Cindy Crawford, Naomi Campbell und Linda Evangelista avancieren zu gefeierten Popstars. Modenschauen wandeln sich zu aufwendig inszenierten Spektakeln – mit dem Charakter von Grossereignissen.
Als unangefochtener Meister der Opulenz inszeniert Karl Lagerfeld seine Visionen mit viel Dramatik, etwa indem er den Pariser Grand Palais in einen Supermarkt verwandelt oder eine Rakete installiert, die am Ende der Show scheinbar abhebt.
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Bild 1 von 3. Für die Chanel-Show Herbst/Winter 2014/15 macht Karl Lagerfeld aus dem Grand Palais einen Supermarkt inklusive Einkaufskörbchen und eigenen Produkten. Bildquelle: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn.
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Bild 2 von 3. Bei der Show Herbst/Winter 2017/2018 setzt er eine monumentale Rakete ins Zentrum des Laufstegs, die am Ende der Show scheinbar abhebt. Bildquelle: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn.
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Bild 3 von 3. Die Show Frühjahr/Sommer 2015 endet mit einem inszenierten Protestmarsch auf dem Laufsteg. Lagerfeld wollte ein Statement zu Feminismus, Gleichberechtigung und Frieden setzen. Bildquelle: Helmut Frick / VG Bild-Kunst Bonn.
Andere hingegen bauen auf Dekonstruktion und kritische Reflexion. So inszeniert Alexander McQueen 1999 eine Schau, bei der zwei Industrieroboter ein Kleid besprühen.
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Bild 1 von 3. Alexander McQueen liess im Frühjahr/Sommer 1999 ein Kleid samt Model von zwei Industrierobotern besprühen. Bildquelle: Robert Fairer .
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Bild 2 von 3. Auch 2010 greift McQueen technologische Aspekte auf und lässt Supermodel Kate Moss als Hologramm erscheinen. Bildquelle: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn.
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Bild 3 von 3. In «Plato's Atlantis» zeigt McQueen eine Zukunft, in der die Erde durch den Klimawandel überflutet wird und die Menschheit sich zu amphibischen Wesen weiterentwickelt. Kleider und Deko sind von Reptilienhäuten inspiriert. Bildquelle: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn.
McQueen schafft so ein Sinnbild für die ambivalente Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Zwei Jahrzehnte später lässt Demna Gvasalia seine Models in einer dystopisch anmutenden Szenerie durch knöcheltiefes Wasser schreiten und verhandelt damit den Klimawandel.
Modeschau für Insta & Co.
«Die Schauen werden heute mehr für die Leute auf Social Media gemacht als für die Leute, die vor Ort präsent sind», sagt Katharina Krawczyk, Co-Kuratorin der Ausstellung «Catwalk» im Vitra Design Museum.
Modeschauen haben also auch im digitalen Zeitalter nicht an Attraktivität verloren. Zwar flammt immer wieder Kritik an der Branche auf. Etwa hinsichtlich des ungesunden Körperbildes, das extrem schlanke Models auf den Laufstegen vermitteln. Zudem verbrauchen Modeshows viel Ressourcen und stehen unter Verdacht, Überproduktion und Fast Fashion anzukurbeln.
Gleichzeitig sind sie aber auch spannende popkulturelle Ereignisse und multidisziplinäre Gesamtkunstwerke mit eigener visuellen Sprache. Selbst Kunstbanause Homer Simpson vermag sich der Aura von Glamour und Exklusivität nicht gänzlich zu entziehen.