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Nicht nur «Fall Gurlitt» Neuer Verdacht auf Raubkunst im Kunstmuseum Bern

Jahrelang stand das Kunstmuseum Bern wegen der historisch belasteten Gurlitt-Sammlung in den Schlagzeilen. Ein neuer, unveröffentlichter Bericht zeigt: Auch bei der eigenen Sammlung gibt es «dringenden Forschungsbedarf» – wegen eines dubiosen Geschenks.

3000 Gemälde und Skulpturen und über 30’000 Handzeichnungen und Druckgrafiken: Das Kunstmuseum Bern verfügt über eine stolze Sammlung.

Wie diese Werke aber ins Haus gekommen sind, darüber weiss man in Bern bemerkenswert wenig.

2016 musste die Museumsleitung einräumen: Bei fast 40 Prozent der Werke, die nach 1933 ins Haus kamen und vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind, sei die Herkunft nebulös.

40 Prozent? Darauf will sich Nikola Doll, Leiterin der Abteilung Provenienzforschung des Kunstmuseums Bern, inzwischen nicht mehr behaften lassen.

Wichtigstes Legat in der Kritik

Doch ein neuer, bisher unveröffentlichter Bericht des Kunstmuseums zeigt: Das wichtigste Legat, neben der Gurlitt Sammlung, steht unter dem Verdacht der Raubkunst.

Es gibt laut Doll einen «dringenden Forschungsbedarf» bei zahlreichen Schlüsselwerken, vor allem von Ikonen der französischen Moderne wie Henri Matisse.

Die Rede ist von der Sammlung von dem Kunsthändler Georges F. Keller. Dieser gilt unter Forschern als «Red Flag» – einer, der mit Raubkunst in Verbindung gebracht wird.

Dubiose Netzwerke

Georges F. Keller war ein französisch-schweizerisch-brasilianischer Kunsthändler, der seine Geschäfte in den 1920er-Jahren in Paris aufnahm und in den 30er-Jahren sukzessive international ausweitete.

Während der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg war Keller in Paris aktiv und arbeitete dort mit dem Kunsthändler Étienne Bignou zusammen. Dieser ist bekannt für seine Kollaboration mit den Nationalsozialisten und dem Handel mit Raubkunst.

Étienne Bignou musste sich nach dem Krieg vor einem französischen Gericht dafür verantworten. «Keller und Bignou waren über Jahrzehnte hinweg Geschäftspartner und beteiligten sich gemeinsam an der Arisierung einer jüdischen Galerie in Paris», erklärt Provenienzforscherin Nikola Doll.

Aline Renoir ihren Sohn stillend
Legende: Ein Bild von Pierre Auguste Renoir im Legat von George F. Keller: Aline Renoir ihren Sohn stillend, 1915, Öl auf Leinwand. Kunstmuseum Bern

Bedenkliches Erbe in Bern

In den 1950er-Jahren trennte sich Georges F. Keller von einem Teil seines Kunstbesitzes und schuf so die Grundlage für die Sammlung der französischen Moderne im Kunstmuseum Bern.

Als Keller 1981 starb, vermachte er dem Kunstmuseum seine gesamte Gemäldesammlung mit Werken von Paul Cézanne, Henri Matisse, Amedeo Modigliani, Pablo Picasso, Pierre-Auguste Renoir und Chaim Soutine – und dazu viel Geld.

Noch 1998 schrieb die damalige Museumsleitung in einer Sonderpublikation: «Den Kunsthändler und Sammler Georges F. Keller zu ehren, ist unsere umso angenehmere Pflicht, als er der weitaus wichtigste Donator seit dem Bestehen der museumseigenen Sammlung ist.»

Provenienzforschung in der Schweiz

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Das Bundesamt für Kultur unterstützt Schweizer Museen bei der Suche nach Raubkunst. Insgesamt finanziert der Bund 12 Projekte. Drei Häuser haben ihre Berichte bereits publiziert: Das Kunsthaus Luzern, das Kunsthaus St. Gallen und das Kirchner-Museum in Davos. Bis Ende Jahr sollen alle Berichte zur Provenienzforschung vorliegen.

Nun stehen Teile von Kellers Vermächtnis faktisch unter Raubkunst-Verdacht, auch wenn man das im Kunstmuseum Bern nicht so offensiv formulieren mag. Nikola Doll jedenfalls bestätigt, dass man die Werke aus dem Legat Keller «etwas genauer untersuchen» will.

Konkret heisst das: In einem neuen Projekt will das Kunstmuseum die Herkunft von rund 80 Werken akribisch abklären. Und hofft, dass das Bundesamt für Kultur dafür Geld spricht. Die Bewerbungsfrist läuft Ende September ab.

Sendung: Kultur-Aktualität, SRF 2 Kultur, 12.09.2018, 06.50 Uhr

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