Was hat die Vermisst-Anzeige einer Katze, die an einem Laternenpfahl hängt, mit Design zu tun? Viel. «Das ist auch Design: Alltagsdesign», sagt Grafikdesignerin und Designhistorikerin Sarah Owens. Die 44-Jährige ist Design-Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.
Auch ein Formular, das in Word erstellt wurde, sei Alltagsdesign. Ebenso wie eine Website eines Physikprofessors. Oder das Schild einer Ladenbesitzerin.
«Alltagsdesign und professionelles Design können nebeneinander existieren, ohne sich zu konkurrenzieren», so Owens. Zusammen bilden sie die uns umgebende Welt. Da könne man nicht einen Teil davon ausblenden.
Sie hinterfragte ihre Arbeit
Dieser offene Designbegriff ist für Sarah Owens bezeichnend. Als junge Grafikdesignerin arbeitete sie in verschiedenen Verlagen und erhielt Einblick in unterschiedliche Arbeitswelten. Dann platzte um die Jahrtausendwende die Internetblase und löste eine Medienkrise aus.
Bald einmal stellte Sarah Owens fest: «Mir fehlte die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was ich da eigentlich mache.» Denn Grafikdesign ist strikten Regeln unterworfen: «Man darf zum Beispiel bei drei Zeilen hintereinander einen Bindestrich setzen. Bei der vierten jedoch nicht.» Sie begann ihre Arbeit zu hinterfragen.
Design als gesamtgesellschaftliches Phänomen
Um Antworten zu bekommen, absolvierte sie am Royal College of Art in London ein Masterstudium in Designgeschichte. Es war ein Studium, das sich an Sozial-, Wirtschaft- und Technikgeschichte orientierte.
Hier lernte sie Herangehensweisen aus anderen Wissenschaften kennen und integrierte diese fortan in den Designprozess. Eine prägende Erfahrung: Sarah Owens versteht Design zunehmend als gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Designobjekte formen die Gesellschaft
So auch, als sie sich mit einem Spielkartenset für Kinder aus der Zeit um 1800 befasste. Es war ein Klassifikations-System, das den Affen nicht dem Menschen zuordnete. «Ich habe an diesem Kartenset ablesen können, wie die damalige Gesellschaft über die Menschen dachte.» Und zwar, dass der Mensch kein Tier sei.
Indem das Kartenset Kindern weitergegeben werde, beeinflusst es deren Vorstellung vom Menschsein in der damaligen Zeit. «Die Gesellschaft spiegelt sich in diesen Objekten. Zugleich formen diese Objekte die Gesellschaft.»
Offen für neue Zugänge
Heute macht sie die Design-Studierenden der ZHdK mit verschiedenen Methoden und Disziplinen vertraut. Sie regt sie an, im Designprozess offen für neue Zugänge zu sein.
«Sarah Owens Ansatz in der Lehre steht im Einklang mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen, in denen wir uns gerade befinden», erklärt Robert Lzicar, Professor für Designgeschichte an der Hochschule der Künste Bern.
Das hat Auswirkungen aufs Design: Im Design werde nicht mehr nur dazu ausgebildet, das tollste Portfolio zu machen oder eine glitzernde Persönlichkeit zu entwickeln. Sondern: «Man soll sich selbst im Design verorten, soll eigene Fragen stellen.»
Neue Ansätze haben es schwer
Dass in den Schweizer Ausbildungsstätten noch immer ein kompetitiver Gedanke im Zentrum steht, führt Robert Lzicar auf die Hochblüte des Schweizer Designs zurück, als der berühmte Swiss Style in den 1950er Jahren weltweit Erfolge feierte.
«Man versuchte in der Schweiz, an dieser Definition von Design festzuhalten», so Lzicar, «und hatte Mühe, neuen Ansätzen im Design die Tür zu öffnen.» Neue Ansätze, wie sie Sarah Owens lehrt. Und wofür sie mit einem Grand Prix Design 2021 ausgezeichnet wurde.