Hohe Holz-Bögen, farbige Glasscheiben und filigrane Metall-Elemente bilden ein leichtes, lichtdurchflutetes Bauwerk. Der diesjährige Sommer-Pavillon der Serpentine-Gallery im Londoner Hyde-Park erregt schon von weitem Aufsehen. Er ist von Architektin Marina Tabassum aus Bangladesch entworfen worden.
«Marina Tabassum hat bisher nur in Bangladesch gebaut», freut sich der künstlerische Leiter der Galerie, Hans Ulrich Obrist, darüber, die im Westen wenig bekannte Architektin einem breiteren Publikum bekannt zu machen. «Tabassum hat die unglaubliche Fähigkeit, leichte, lichtdurchflutete Bauten zu schaffen. Die Lichteffekte sind wunderbar.»
Ein offener Ort – für alle
Der gebürtige Thurgauer Hans Ulrich Obrist gehört der Jury an, die jedes Jahr einer Architektin oder einem Architekten den Auftrag erteilt, im Garten vor der Serpentine-Gallery ein Bauwerk auf Zeit zu erstellen.
Dieses dient von Anfang Juni bis Ende Oktober als Veranstaltungsort für Lesungen, Musik-, Theater- oder Tanz-Vorstellungen. «Der Pavillon ist von der Strasse aus gut sehen, er ist einfach erreichbar und er hat keine Türen. Das lädt auch Leute ein, die sonst Hemmungen haben, in ein Museum zu gehen.»
Obrist erzählt mit leuchtenden Augen von einem Taxi-Fahrer, dessen Tochter vor einigen Jahren im Vorbeifahren den damaligen Serpentine-Pavillon erspähte, ihren Vater bat, anzuhalten, damit sie das Bauwerk besichtigen könne. Danach haben die junge Frau entschieden, Architektin zu werden.
Von Weltstars zu jungen Talenten
Es ist bereits der 25. Serpentine-Pavillon, der bis Ende Oktober im Zentrum Londons zum Verweilen einlädt. Den ersten Pavillon erstellte im Jahr 2000 die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid. Es war Hadids erstes Bauwerk in Grossbritannien, obwohl sie weltweit längst ein Star war und seit längerem in London lebte.
Unsere Idee war es von Anfang an, London zu öffnen.
Hier wollte und will die Serpentine-Gallery Türöffnerin sein, wie Hans Ulrich Obrist erklärt: «London ist eine Weltstadt, ist global vernetzt – und hat auch eine interessante Architekturszene. Doch merkwürdigerweise haben hier nur selten ausländische Architektinnen und Architekten bauen können. Unsere Idee war es deshalb von Anfang an, London zu öffnen – für Architekten aus dem Ausland.»
Weltstars und junge Talente
So liest sich die Liste der Pavillon-Gestalter der letzten 25 Jahre wie ein Who-is-Who der internationalen Architektur-Grössen: Nach Zaha Hadid bauten auch Oscar Niemeyer, Jean Nouvel, Sanaa, Peter Zumthor, Herzog & de Meuron und viele mehr.
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Bild 1 von 4. Zaha Hadids Konstruktion erfand die gängige Vorstellung von einem Zelt oder einer Markise radikal neu. Es hat die Form einer dreieckigen Dachstruktur, die einen beeindruckenden Innenraum von 600 Quadratmetern überspannt. (2000). Bildquelle: Hélène Binet.
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Bild 2 von 4. Oscar Niemeyers Pavillon besticht mit rubinroter Rampe, viel Aluminium, Beton und Glas. Der Pavillon entsprach Niemeyers Grundsatz, dass sich jedes Projekt in einer einfachen «Skizze» zusammenfassen lassen muss. (2003). Bildquelle: Sylvain Deleu.
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Bild 3 von 4. Herzog & de Meuron und Ai Weiwei entwarfen einen Pavillon, der Besuchende unter den Park führt, in die Geschichte der früheren Pavillons. Elf Säulen stehe für jedes frühere Bauwerk; eine zwölfte Säule für die aktuelle Struktur. Darüber: ein schwebendes Plattformdach. (2012). Bildquelle: Luke Hayes.
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Bild 4 von 4. Peter Zumthors Pavillon war das erste fertiggestellte Gebäude des Architekten im Vereinigten Königreich und umfasste einen eigens vom niederländischen Designer Piet Oudolf angelegten Garten. Das Konzept des Pavillons war ein kontemplativer Raum, ein Garten im Garten. (2011). Bildquelle: Walter Herfst.
Nach den Weltstars bekämen nun junge Talente eine Plattform, erklärt Obrist, zum Beispiel die libanesisch-französische Architektin Lina Gothmeh im Sommer 2023.
«Sie hat kurz nach dem Serpentine-Pavillon den Wettbewerb für die Erweiterung des British Museum gewonnen. Wenn wir damit nützlich sein können – für jüngere Architekten oder Architektinnen, freut uns das.»
Ein Wander-Pavillon als Vision
Auch denkt Obrist schon an die nächste Etappe – und träumt von einem Wander-Pavillon, der in Vorstädten oder Dörfern Halt macht und so Menschen verschiedenster Herkunft mit Kultur und Kunst in Berührung bringt. «Wir brauchen solche Räume in der heutigen Gesellschaft, in denen sich Menschen, die sich sonst nicht begegnen oder nicht miteinander reden, sich austauschen können.»