Samuel Herzog: Kunst ist vom Anspruch her ja grundsätzlich öffentlich. Und doch gibt es grosse Unterschiede zwischen einem Werk, das etwa in einer Galerie auf einen Käufer wartet, und einer Skulptur im öffentlichen Raum oder einer Performance, die vielleicht ganz direkt mit dem Publikum interagiert.
Sabine Gebhardt Fink: Konzentrieren wir uns auf Kunst, die einen politisch-gesellschaftlichen Anspruch hat, den sie im öffentlichen Raum vertritt.
Das ist ja eine relativ neue Erscheinung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. In den 1950er- und 60er-Jahren erlebte sie einen ersten Höhepunkt mit Happenings und der Artist Placement Group, die Künstlerinnen in Ämtern, Geschäften und Fabriken platzierte. Seit den 90er-Jahren hat sie nochmals ganz andere Facetten entwickelt hat. Warum eigentlich?
Im Zuge des Neoliberalismus wurden immer mehr gemeinschaftliche Güter und öffentliche Räume privatisiert, von wenigen besetzt. Dagegen wehren sich die Künstler seit den 90er-Jahren.
Sie tun das nicht nur mit Performances, sondern auch indem sie im Stadtraum aktiv werden. Die einen entwickeln ökonomische Alternativen, andere machen sich über die Politik lustig – das Spektrum scheint unendlich breit. Was sind für Sie typische Beispiele?
Mir kommen da zunächst Künstler in den Sinn, die ausserhalb des Betriebssystems Kunst agieren, indem sie Plattformen schaffen, auf denen – meist in Gestalt von Kollaborationen – Werke entwickelt und Diskussionen geführt werden. In Zürich etwa Esther Eppstein mit ihrem Message Salon oder in Basel Chris Regn mit der fiktiven Galerie Helga Brol l.
Nicht immer geht es so friedlich zu wie in diesen Räumen. Manche Künstler sind auch sehr aggressiv in der Gesellschaft unterwegs.
Sie denken an Milo Rau, den Schweizer Theaterregisseur, und sein International Institute of Political Murder ?
Ja, oder Philipp Ruch und sein Zentrum für politische Schönheit, bei dem er politisch-künstlerische Aktionen lanciert, die wie PR Massnahmen daherkommen.
Das sind Beispiele, die sehr stark auf das Genre der Politposse abstellen.
Bei solchen Aktionen spielt der Medienraum eine wichtigere Rolle als der reale Raum. Ist es allgemein so, dass da eine Verschiebung stattgefunden hat, dass Kunst fast nur noch im virtuellen Raum Form annimmt?
Die Medienwissenschaftlerin Regine Buschauer spricht von «ubiquitären und pervasiven Medien», die überall vorhanden sind und alle Räume und Umgebungen des Alltags durchdringen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Das Projekt Trash Track etwa hat Elektronik-Schrott mit Minisendern ausgestattet, deren Verschiebung quer durch Amerika verfolgt und diese erstaunlich langen Wege sichtbar gemacht.
Das Beispiel zeigt auch, dass der öffentliche Raum heute mit den Neuen Medien ganz anders definiert werden muss.
Auf jeden Fall.
Das bedeutet aber auch, dass das Publikum anders angesprochen werden will.
Eine wichtige Strategie ist heute sicher die der Konfrontation, die beim Publikum im ersten Moment meist Ablehnung provoziert – das kann mit oder ohne didaktische Absicht geschehen.
Viele Künstler nehmen auch nur leichte Verschiebungen an bestehenden Verhältnissen vor und provozieren so, dass Dinge infrage gestellt werden oder sich sogar neue Perspektiven eröffnen – wie das Künstlerinnenduo Piera Sutter und Alina Schmuziger .
Es gibt ja auch Kunst, die unsichtbar bleibt. Ich denke an Eingriffe im öffentlichen Raum, die vom Publikum vielleicht gar nicht bewusst oder zumindest nicht bewusst als Kunst wahrgenommen werden – wie die urban camouflage von Désirée Palmen, in der sie sich für Überwachungskameras unsichtbar macht. Da stellt sich die Frage, wie wichtig es bei öffentlichen Projekten ist, dass sie als Kunst angesehen werden.
Mir scheint die Wahrnehmung als Kunst nicht zentral. Wichtig ist, dass es beim Publikum etwas bewirkt, Perzeptionen, Haltungen und Handlungen verändert.
Das Gespräch führte Samuel Herzog. Es ist Teil einer Gesprächsreihe zum heutigen Kunstschaffen, die von Sabine Gebhardt Fink, Professorin an der Hochschule Luzern – Design & Kunst, kuratiert wurde.