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Wie umgehen mit Raubkunst? Provenienzforschung: Eine Kulturstiftung will Pionierin werden

Wie soll mit Kunstwerken umgegangen werden, die jüdischen Sammlern im NS-Regime entzogen wurden? Die Schweizer Stiftung SKKG richtet dafür eine unabhängige Kommission ein und gibt ihr weitreichende Kompetenzen.

Ein salomonisches Urteil gilt als gerecht, denn in der salomonischen Urteilsfindung ist die Richterin frei von eigenen Interessen: frei und unabhängig.

Genau diese Überlegung liegt der unabhängigen Kommission zugrunde, die die Schweizer Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) nun einrichtet. Denn: Diese Kommission entscheidet, unabhängig vom Stiftungsrat.

Wer ist die SKKG?

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Die Winterthurer «Stiftung für Kunst Kultur und Geschichte» wurde 1980 vom leidenschaftlichen Sammler Bruno Stefanini gegründet. Mehr als 80'000 Objekte trug der Milliardär zusammen: von der Kutsche über impressionistische Meisterwerke bis zu Bomben, Uniformen oder Chorgestühlen.

Nach Bruno Stefaninis Tod professionalisierte Tochter Bettina Stefanini als Stiftungsratspräsidentin die Strukturen und sorgte für Inventarisierung und sachgemässe Lagerung der Kulturgüter. Seit 2022 lässt die SKKG unter externer Leitung die Provenienzen der Objekte erforschen. Prioritär werden rund 600 Bilder untersucht.

Ein einmaliger Machtverzicht

Diese Gewaltenteilung ist in der Schweizer Kulturlandschaft einzigartig. Hier wirkt eine private Stiftung als Pionierin und richtet unabhängige Strukturen für Entscheide ein, nicht die öffentliche Hand.

Wie arbeitet die unabhängige Kommission der SKKG?

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Sie soll die heiklen Fragen im Umgang mit Kunstwerken klären, die möglicherweise jüdischen Sammlerinnen und Sammlern unter dem Druck der NS Verfolgung entzogen wurden. Sei das durch Raub oder durch erzwungen Verkauf.

Dabei geht es um Fragen, an denen sich niemand gern die Hände verbrennt: Was soll mit solchen Kunstwerken geschehen? Werden sie an Erben restituiert? Oder gibt es andere Lösungen? Was macht man, falls es keine Erben gibt? Was macht man, falls es keine eindeutigen Beweise für einen NS verfolgungsbedingten Entzug gibt?

Als Grundlagen für die Arbeit der unabhängigen Kommission dienen die international anerkannten Washington Principles, die seit 1998 den Umgang mit NS-verfolgungsbedingten Entzügen regeln. Und die ergänzende Erklärung von Terezin (2009), sowie ethische Leitlinien der SKKG, die etwa den betroffenen Opfern und ihren Nachkommen Gehör verschaffen sowie Leidens- und Verfolgungsgeschichten anerkennen wollen.

Im Bereich der öffentlichen Hand werden Entscheide nicht von unabhängigen Gremien getroffen: Schweizer Museen entscheiden bei Verdachtsfällen von Raubkunst selbst oder die Träger der Museen entscheiden. Über den Interessenskonflikt wird gern hinweggesehen, obwohl ein Museum dabei stets im Verdacht steht, die eigenen Bestände zusammenhalten zu wollen.

Ein neuer Wind in der Schweiz?

Aufhorchen lässt der Entscheid der SKKG, eine unabhängige Kommission einzurichten, auch, weil in der Schweiz sonst ein anderer Wind weht – wenn nicht sogar eher Windstille herrscht.

Für das Zürcher Kunsthaus berät derzeit ein runder Tisch über die Causa Bührle. Genauer gesagt: Er berät darüber, wer denn dereinst die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung überprüfen soll.

Meinungsbildung am runden Tisch

Das dauert und es geht dabei um Meinungsbildung, nicht um Entscheide. Übrigens: Entscheiden wird dann die Bührle-Stiftung, ohne runden Tisch.

Die Einrichtung einer Kommission für strittige Fälle wird auch auf Bundesebene diskutiert und wurde von den Räten gutgeheissen. Wann sie kommt, ist unklar. Und: Dass diese Bundeskommission dann nicht entscheiden, sondern nur Empfehlungen abgeben wird, gilt als wahrscheinlich.

Eine Kommission aus Expertinnen

Während also anderswo zeitraubende Meinungsbildungsprozesse laufen oder zahnlose Kommissionen noch nicht eingesetzt sind, geht die SKKG mit einer unabhängigen Kommission voraus und besetzt sie mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten.

Andrea Raschèr blickt in die Kamera.
Legende: Andrea Raschèr ist Raubkunstexperte, Jurist – und bald auch der Präsident des Gremiums. Dominik Landwehr

Präsidiert wird das Gremium vom Juristen Andrea Raschèr, der das Kulturgütertransfergesetz auf die Beine stellte und Mitglied der Schweizer Delegation an der Washingtoner Konferenz 1998 war.

Eine diverse Kommission für mehr Akzeptanz

Dabei steht nicht nur die fachliche Qualifikation im Fokus, sondern auch die religiöse Diversität. Die unabhängige Kommission hat mehr als eine jüdische Position unter ihren Mitgliedern, sie besitzt sogar eine knappe jüdische Mehrheit.

Die weiteren Mitglieder der Kommission

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  • Der Bochumer Historiker Constantin Goschler
  • Die ehemalige Ombudsfrau der Stadt Zürich, Claudia Kaufmann
  • Die Berner Historikerin Stefanie Mahrer
  • Der Rechtsanwalt Olaf Ossmann

Das ist wichtig: nicht, weil es vorausahnen liesse, wie hier entschieden wird. Aber die Zusammensetzung soll die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Kommission bei Betroffenen und jüdischen Organisationen gewährleisten.

Ihre Arbeit soll die Kommission dieses Jahr aufnehmen. Welche Entscheide sie mit welchen Begründungen vorlegt, wird darüber entscheiden, ob die SKKG die selbst hoch gelegte Latte auch erreicht.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 24.01.2023, 12:15 Uhr

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