Den Satz «Du wärst ein guter Vater geworden» hat Thomas Fuhrer schon oft gehört. Der Berner ist 56 Jahre alt, lebt in einer festen Beziehung und hat sich für ein Leben ohne Kinder entschieden.
Als selbständiger Architekt hat Thomas Fuhrer mit 30 Jahren, als andere langsam mit der Familienplanung begannen, viel in die eigene Karriere investiert. «Architektur war mein Kind, in das ich viel Engagement steckte», so Fuhrer.
Zwar habe er sich schon damals mit dem Thema Kinder auseinandergesetzt – unter anderem wegen seiner damaligen Partnerin, die bereits Mutter war. Doch sei ihm dadurch auch bewusst geworden, wie viel Arbeit und Verantwortung ein Kind bedeutet.
Jetzt oder nie
Der definitive Entscheid, keine eigenen Kinder haben zu wollen, kam erst mit Mitte 40. Damals war Fuhrer in einer frischen Beziehung mit einer 34-jährigen Frau, die einen starken Kinderwunsch verspürte. «Es hiess plötzlich: now or never.» Fuhrer musste sich zwischen der Beziehung und seinem bisher kinderlosen Leben entscheiden.
Es sei ein Entschluss gewesen, der ihn emotional stark beanspruchte habe und ihn bis heute präge, sagt er. Ausserdem zeige sein Beispiel, wie gnadenlos ein Kinderwunsch sein könne. «Der unverhältnismässige, frühe Druck am Anfang einer Beziehung war äusserst belastend und hat die Beziehung in ihrem guten Keim schlussendlich erstickt», erzählt er.
Kinderkriegen – eine Selbstverständlichkeit?
Die Selbstverständlichkeit, mit der seine damalige Partnerin Kinder zu einem erfüllten Leben dazuzählte, stiess bei ihm auf Unverständnis.
Für Fuhrer ist das Kinderkriegen ein Entscheid, den viele zu leichtfällig treffen. «Der Kinderwunsch ist für mich oftmals egoistisch geprägt», so Fuhrer. Besonders mit Blick auf die heutigen strukturellen und ökologischen Aussichten fühlt sich der Berner in seiner Entscheidung bestätigt.
Diskurs über kinderlose Männer fehlt
In den letzten Jahren sind kinderlose Frauen in den Fokus des gesellschaftlichen Diskurses gerückt – besonders auch die Stigmen, mit denen die Frauen zu kämpfen haben. «Eine kinderlose Frau hat den gleichen Stellenwert wie ein arbeitsloser Mann», schreibt die kanadische Autorin Sheila Heti in ihrem Buch «Motherhood».
Die Forschung zu kinderlosen Männern fehlt jedoch grösstenteils. «Das liegt vor allem daran, dass Elternschaft lange mit der Frau in Verbindung gebracht wurde», sagt Markus Theunert, Gesamtleiter der Männer- und Väterorganisation maenner.ch. «Elternschaft war faktisch Mutterschaft. Männern kam keine Rolle in der Kindererziehung zu», so Theunert. Mann-Sein ist also nicht so eng mit Vaterschaft verknüpft wie die Frau mit dem Muttersein.
«Als Mann darf ich scheinbar kinderlos existieren», sagt Thomas Fuhrer. Er sei nie mit abwertenden Kommentaren konfrontiert worden – im Gegensatz zu seiner ebenfalls kinderlosen Partnerin. «Selbst in der heutigen, in vielen Bereichen emanzipierten Gesellschaft werden Frauen am Kinderkriegen gemessen», sagt er.
Die Rollenmuster und das Bild des abwesenden Familienvaters brechen zwar langsam auf. Einen gesellschaftlichen Diskurs zum Thema «kinderlose Männer», besonders einer, der von Männern selbst geführt würde, gebe es im Unterschied zu den «kinderlosen Frauen» aber auch heute noch nicht wirklich, erklärt Markus Theunert. Auch bei Diskussionen rund um die Geburtenrate bleibt der Mann oft aussen vor.
Und doch scheinen auch Männer der Norm eines Familienvaters zu unterliegen: Noch heute wünschen sich neun von zehn Menschen in der Schweiz – ob Mann oder Frau –, eine Familie zu gründen und Eltern von mindestens zwei Kindern zu werden. Das zeigt eine Erhebung des Bundesamtes für Statistik .
Auch Männer leiden unter Normen
Dadurch leiden auch kinderlose Männer unter einem Rechtfertigungs- und Kompensationsbedürfnis, resümiert der MenCare-Bericht vom Schweizerischen Institut für Männer- und Geschlechterfragen. «Viele Männer setzen sich selber unter Druck, mit der Familiengründung die männliche Normbiografie erfüllen zu müssen», erklärt Theunert.
Auch Thomas Fuhrer bekam diesen Druck zu spüren: Durch seine vergangene Liebesbeziehung oder durch den Wunsch seiner eigenen Mutter, Enkelkinder zu haben. Bereut hat er seine Entscheidung trotzdem nie.