«Ich bin gerettet!» Im Februar 1922 befand sich Rainer Maria Rilke in Hochstimmung: «Was so schwer auf mir gelastet und mich am meisten geängstigt hat, ist getan.»
Nach zehn Jahren quälender Schaffenskrise hatte der Dichter endlich sein Lebenswerk vollendet: die Gedichtfolge «Duineser Elegien».
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Bild 1 von 3. Der junge Rainer Maria Rilke lebte in Paris, Berlin, Bremen und Rom. Bildquelle: KEYSTONE / DPA.
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Bild 2 von 3. Nach seiner Zeit in Wien und München … (1916). Bildquelle: IMAGO / Heritage Images .
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Bild 3 von 3. … führte ihn der Weg in die Schweiz. (1925). Bildquelle: IMAGO / Bridgeman Images.
Möglich wurde dies im mittelalterlichen Turmhaus Château de Muzot oberhalb von Sierre, wohin sich Rilke in beinahe asketischer Abgeschiedenheit zurückgezogen hatte. Nach dem Abschluss der Elegien sei er «hinausgegangen, um das alte Muzot zu streicheln, eben gerade, im Mondlicht».
Wie die Provence
Rilke hatte das Wallis im Herbst 1920 durch seine Freundin Baladine Klossowska kennengelernt. Den Dichter zog es aber nicht in jene Seitentäler, wohin sich heute die Touristen drängen.
Seine Faszination galt der weiten Rhone-Ebene, die ihn an die Provence und an Spanien erinnerte – Landschaften, die ihn zuvor tief berührt hatten. Nun glaubte er, «ihre Stimmen vereint zu finden in einem ausgebreiteten Bergthal der Schweiz!»
Bevor Rilke jedoch in der Schweiz eine Wahlheimat fand, hielt sich seine Begeisterung für das Land durchaus in Grenzen.
1914 reiste er erstmals durch die Schweiz, auf dem Weg von München nach Paris. Die Alpen erschienen ihm als «dumme Gebirge» und «imposante Hindernisse». Zürich empfand er als nervenaufreibend, eine Stadt, in der «die Uhren so kuhäugig-gross wie lauter Bahnhofuhren in die […] unsäglich bürgerliche Landschaft schauen».
Zwischen Bergen und Bellevue
Nach dem Ersten Weltkrieg verliess Rilke fluchtartig das politisch aufgewühlte München. Eine Einladung des Lesezirkels Hottingen führte ihn nach Zürich; ausserdem besuchte er Nyon, Genf und Bern.
Allmählich begann er, Gefallen zu finden: Genf erinnerte ihn an Paris, auch Bern sagte ihm zu – ganz besonders das Hotel Bellevue Palace mit dem hauseigenen Friseursalon. Nicht immer suchte Rilke das karge Leben, wie später im Château de Muzot.
Einen ersten Ruheort fand Rilke aber in Soglio. Auch wenn ihm die steilen Berge fremd blieben, konnte er sich hier erstmals ein längeres Leben und Schreiben in der Schweiz vorstellen.
Doch seine Gefühle blieben ambivalent: Die Schweiz sei einerseits eine «Rettung vor so vielen Nachwirkungen des Krieges», andererseits fremdelte er mit den «merkwürdige Leute, dicht, hart, undurchdringlich».
Das Wunder von Muzot
Nach weiteren Stationen – unter anderem in Locarno und Berg am Irchel – fand Rilke im Wallis endlich die ersehnte Landschaft und Stille – und sein «Château en Suisse»: das Schloss Muzot, das ein Gönner für ihn erwarb.
Hier erfasste Rilke im Frühjahr 1922 eine gewaltige schöpferische Welle: In wenigen Tagen schrieb er sechs seiner zehn Elegien wie im Rausch nieder; im selben poetischen Ausbruch entstanden auch die 55 «Sonette an Orpheus».
Später wird Rilke von einem «rätselhaften Diktat» und einer «Sendung» sprechen, die auf Muzot über ihn hineingebrochen sei. Dass er dieses «uralte Manoir finden durfte», sei für ihn ein Wunder gewesen.
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Bild 1 von 3. Das von Weinreben umgebene Château de Muzot im Wallis: Hier verbrachte Rainer Maria Rilke die letzten Jahre seines Lebens. Bildquelle: IMAGO / IP3press.
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Bild 2 von 3. Die Gemeinde Veyras ehrt Rilke mit einer Promenade – unweit von seinem Château. Bildquelle: IMAGO / IP3press.
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Bild 3 von 3. Rilkes Ruhestätte: Die Burgkirche St. Romanus in Raron im Wallis: Hier fand der Lyriker «alle Weite und alles Licht». Bildquelle: IMAGO / GFC Collection.
Ab 1923 zwangen Rilke starke Schmerzen zu wiederholten Aufenthalten im Sanatorium Val-Mont bei Montreux. Erst spät wurde Leukämie diagnostiziert. Im Dezember 1926 starb Rilke mit 51 Jahren und wurde auf eigenen Wunsch in Raron begraben.
Es sei ein schönes Grab, schrieb seine Vertraute, Nanny Wunderly-Volkart: Rilke habe dort «alle Weite und alles Licht».