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Ausstellung im Cartoonmuseum Alison Bechdel: Bemerkenswerte Lesben und verkorkste Familien

Seit über 40 Jahren umkreist Alison Bechdel in ihren Comics den queeren und feministischen Alltag in den USA und gilt heute als eine der wichtigsten Comic-Autorinnen. Eine Retrospektive im Cartoonmuseum in Basel würdigt ihr Werk.

Die autobiografische Graphic Novel «Fun Home» (2006) markierte Alison Bechdels internationalen Durchbruch und wurde vom Time Magazine zum Buch des Jahres gekürt. Darin setzt sie sich mit ihrer verkorksten Beziehung zu ihrem Vater auseinander.

Der Vater, Bruce Bechdel, war schwul oder bisexuell, hat sich aber nie geoutet und unterwarf sich den gesellschaftlichen Zwängen. Wenige Monate nach dem Coming-out seiner Tochter nahm er sich das Leben.

Es sei die Geschichte von zwei Menschen, fasst Bechdel den Konflikt zusammen, «die in unterschiedlichen Zeiten in derselben Kleinstadt aufwachsen sind. Der eine bringt sich um, weil er seine sexuelle Identität nicht ausleben kann; die andere kann ihr Leben in aller Offenheit leben.»

Ausstellungshinweis: «Alison Bechdel: The Essential»

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Die erste Alison-Bechdel-Retrospektive im deutschen Sprachraum zeichnet Bechdels Karriere von «Dykes To Watch Out For» bis zu ihrer jüngsten Graphic Novel «Spent. A Comic Novel» nach und setzt sie geschickt in gesellschaftliche Zusammenhänge.

Bechdels Comics sind sehr literarisch und textlastig, doch ist es der Kuratorin Anette Gehrig gut gelungen, sie auch räumlich und sinnlich zu vermitteln: Sie setzt Vergrösserungen ein und integriert andere Medien wie Fotografien, Plakate, Skizzenbücher, freie Arbeiten und Filme. Wer aber wirklich in Bechdels Welt eintauchen will, muss auch in der Ausstellung Sprechblasen lesen.

Die Ausstellung ist im Cartoonmuseum Basel vom 5. Juli bis zum 26. Oktober 2025 zu sehen.

Reflektiert und literarisch

Die Beziehung zu ihrem Vater war traumatisch – Alison Bechdel benötigte 20 Jahre, bis sie diese Geschichte aufzeichnen konnte. Als sie sie dann erzählte, tat sie das sehr analytisch und reflektiert – und hoch literarisch.

«Ich bin vermutlich eher eine Autorin, die auch zeichnet», sagt sie von sich selbst, «als eine Zeichnerin, die auch schreibt – auch wenn das Bild für mich sehr wichtig ist.»

Aufgewachsen unter Toten

Alison Bechdel, eine drahtige Frau mit markantem Gesicht und widerspenstigen kurzen Haaren, spricht ruhig, ihre Antworten sind kurz und wirken wohlüberlegt.

Geboren ist sie 1960 in einer Kleinstadt in Pennsylvania und wuchs im Bestattungsinstitut, dem titelgebenden «Funeral Home» ihrer Familie auf. Schon früh war sie sich ihrer sexuellen Orientierung bewusst – doch outete sich erst 1979.

1983 erschienen die ersten Folgen ihres queeren Comicstrips «Dykes To Watch Out For». 25 Jahre lang zeichnete sie Woche für Woche Geschichten aus dem lesbischen Alltag für bis zu 70 queere Publikationen. Ihr Strip wurde zur humorvollen und selbstkritischen Chronik der queeren Szene, eine Art Soap Opera, eng verwoben mit dem politischen und gesellschaftlichen Geschehen.

Dokumentieren und inspirieren

«Ich wollte meine Welt dokumentieren,» erklärt sie, «aber mir wurde schon bald bewusst, dass ich diese Welt auch mitgestaltete. Meine lesbischen Repräsentationen haben andere Frauen inspiriert; für gewisse Frauen waren meine Figuren die ersten Lesben, denen sie begegneten …»

Der Bechdel-Test

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Vermutlich kennen hierzulande mehr Menschen den nach Alison Bechdel benannten Bechdel-Test als ihre Comics.

1985, in ihrem Comicstrip «Dykes To Watch Out For», entwickeln zwei Figuren einen Test, der die Unterrepräsentation und Stereotypisierung von Frauen in Filmen bestimmen soll:

  • Gibt es a) mindestens zwei namentlich genannte weibliche Figuren,
  • die b) miteinander reden,
  • und zwar c) über etwas anderes als einen Mann?

Der Test sei ein Scherz gewesen, sagt Alison Bechdel, völlig unwissenschaftlich, habe aber wichtige Diskussionen ausgelöst. «Better than nothing.»

Weniger gut findet sie, dass bis heute viele populäre Filme den Test nicht bestehen.

Als Bechdel ihren Strip 2008 einstellte, um sich ganz ihren Graphic Novels zu widmen, hatte die Schwulenbewegung viel erreicht. Heute wirkt «Dykes To Watch Out For» wie die nostalgische Beschwörung einer besseren Zeit und gewinnt ungewollt eine neue Aktualität.

Nie hätte sich Bechdel vorstellen können, mit welchem Tempo viele Errungenschaften rückgängig gemacht werden. «Es ist, als kehrten wir ins 19. Jahrhundert zurück», sagt sie. «Jeden Tag wache ich auf und frage mich, wie ich meinen Optimismus behalten kann.»

Cartoon-Menschenmenge mit Schildern, Spirit of 2018.
Legende: Alison Bechdels Arbeiten waren stets politisch – so auch dieses Cover der «Seven Days» im Kontext der US-amerikanischen Midterm-Wahlen. Alison Bechdel, 2018 Da Capo Publishing, Burlington, 2018

40 Jahre queere Comics

Mit dem autofiktionalen «Dykes To Watch Out For» und ihren autobiografischen Graphic Novels schafft Bechdel ein Werk, das seit über 40 Jahren auf vielfältige und eigenwillige Weise Politik, Gesellschaft, Identität und Sexualität erkundet und reflektiert.

Es sind anspruchsvolle Comics, und doch gelingt es Bechdel, ihre Geschichten immer mit Humor zu vermitteln – «sonst würde sie niemand lesen wollen».

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 3.7.2025, 17:10 Uhr

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