Biografie zum 150. Geburtstag - Thomas Mann liebte Männer – das wird heute neu gelesen
Eine neue Biografie porträtiert Thomas Mann erstmals mit Fokus auf seine Homosexualität. Um den Ausnahmeschriftsteller wirklich zu verstehen, sei dieses Wissen das «Allerwichtigste», erklärt der Biograf.
Dass sich Thomas Mann zu Männern hingezogen fühlte, ist keine neue Erkenntnis. In vielen literarischen Werken schrieb er über homoerotisches Begehren und spätestens als seine Tagebücher 1975 postum veröffentlicht wurden, war klar, dass es sich bei diesen Geschichten nicht um reine Fiktion handelte.
Legende:
Korrekt gekleidet und auf Distanz: Thomas Mann zeigte sich um 1930 unnahbar. Tilmann Lahmes Biografie bringt uns den Literatur-Nobelpreisträger ein Stück näher.
IMAGO/United Archives International
Der unglückliche Tonio Kröger, der sich in der gleichnamigen Erzählung in einen Schulkameraden verliebt, entspringt Thomas Manns eigenen Erfahrungen. Auch der alternde Schriftsteller Gustav von Aschenbach der in «Der Tod in Venedig» einem Teenager verfällt, ist ein Alter Ego seines Schöpfers.
Biografische Lücken
Bisherige Biografen haben Thomas Manns Schwärmerei für Männer diskret zur Kenntnis genommen. Anders der Literaturhistoriker Tilmann Lahme. Er stellte fest, dass manche Quellen, in denen Thomas Mann über seine Homosexualität schrieb, bis jetzt bewusst zurückgehalten wurden. Sei es aus Prüderie oder weil man sich daran störte, dass der vielleicht bedeutendste deutsche Schriftsteller des letzten Jahrhunderts schwul war.
Legende:
Thomas Mann und seine Ehefrau Katia hatten sechs gemeinsame Kinder. Die Ehe steht für seinen inneren Kampf und der Suche nach «Heilung». (1949)
Keystone/AP Photo/Albert Riethausen
Tilman Lahme erhebt in seiner Biografie mit dem unverfänglichen Titel «Thomas Mann. Ein Leben» die Sexualität zum alles verändernden Faktor im Leben des Schriftstellers. Als entscheidende Quellen dienen ihm bisher unveröffentlichte Briefe an einen Jugendfreund.
Daraus geht hervor, dass der 17-jährige Thomas Mann versuchte, sich – entsprechend des Zeitgeists um das Jahr 1900 – von seiner Homosexualität zu heilen. Diesen Weg sei Thomas Mann ein Leben lang gegangen, hält Tilman Lahme fest.
«Heftige phallische Begierde»
Weil Thomas Mann 1905 Katia Pringsheim heiratete und Vater von sechs Kindern wurde, hätten Biografen die homoerotischen Neigungen als jugendliche «Gefühlsschwankungen» abgetan, sagt Lahme. «Aber Thomas Mann führte diese Ehe nicht, weil er sich verliebt hatte, sondern weil er glaubte, dass er damit von seiner Homosexualität loskommt.»
Wie wenig das gelang, dokumentieren in der Biografie abgedruckte Tagebuchauszüge. Sie berichten von «misslungenem Beischlaf» mit Frau Katia, «heftiger phallischer Begierde» und nächtlichen Samenergüssen, für die sich Thomas Mann schämte. Aber sind diese intimen Details notwendig, um Thomas Mann besser zu verstehen?
Stationen eines Schriftstellerlebens
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Am 6. Juni 1875 kam Thomas Mann als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Lübeck zur Welt. In der Schule war er miserabel. Erste Schreibversuche blieben von mässigem Erfolg. Auch die Veröffentlichung seines Debütromans «Buddenbrooks» 1901 stiess zuerst auf wenig Resonanz. Erst mit der zweiten einbändigen Auflage von 1903 gelang Thomas Mann der Durchbruch. 26 Jahre später wurde er für seinen Erstlingsroman über den Niedergang einer Lübecker Kaufmannsfamilie mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt.
Immer wieder äusserte sich Thomas Mann auch öffentlich zum politischen Weltgeschehen. Vor dem Ersten Weltkrieg präsentierte er sich noch als Nationalist und Kriegsbefürworter. In den 1920er-Jahren trat er dann als Verfechter von Demokratie und Humanität hervor und war ein entschiedener Hitler-Gegner. 1933 wurden Thomas Manns Werke in Nazi-Deutschland verbrannt. Mit seiner Familie zog er ins Exil, zuerst in die Schweiz, dann in die USA. Von dort aus wendete er sich während des Zweiten Weltkrieges über den BBC-Rundfunk an seine Landsleute als mahnende Stimme gegen den Nationalsozialismus.
Nach dem Krieg kehrten die Manns nach Europa zurück. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Thomas Mann in der Schweiz, in einer Villa in Kilchberg am Zürichsee. Am 12. August 1955 starb Thomas Mann in Zürich.
Auf jeden Fall ist Tilman Lahmes Argumentation, damit das Leiden des Schriftstellers aufzuzeigen, redlich: «Wenn man ständig damit kämpft, was man liebt und begehrt, weil man es nicht haben darf, ist das aus meiner Sicht für eine Biografie das Allerwichtigste.»
«Es kenne mich die Welt»
Thomas Mann wollte eine Autorität sein. Das ist ihm gelungen. Nicht nur als preisgekrönter Autor, sondern auch als politische Instanz. Ein solches Leben als offen Homosexueller zu leben, wäre nie infrage gekommen. Sein bürgerliches Leben mit Frau und Kindern erscheint darum auch als Fassade.
Nicht nur auf Fotografien wirkt der Mann im korrekt sitzenden Anzug mit Krawatte oft unnahbar. Mit Tilmann Lahmes Biografie wird der Schriftsteller nun ein Stück menschlicher und umso interessanter.
Ein Einstieg in Thomas Manns Werk
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Thomas Manns berühmte Romane «Buddenbrook» und «Der Zauberberg» gehören zum Kanon der Weltliteratur. Mit bis zu 1000 Seiten und bemerkenswert langen Sätzen gehören diese Romane aber zu den anspruchsvolleren Büchern aus Thomas Manns Werk.
Zugänglicher sind da beispielsweise:
«Tonio Kröger» (1903): Eine Novelle über einen unglücklich verliebten Kaufmannssohns, der sich weder in der Künstler- noch in der Bürgerwelt zuhause fühlt. Der Titelheld trägt unverkennbar Züge von Thomas Mann selbst.
«Unordnung und frühes Leid» (1925): Eine Erzählung über die Familie Cornelius, mit der Thomas Mann seine eigene Familie porträtierte. Wie in «Tonio Kröger» thematisiert Thomas Mann darin auch die Spannung zwischen dem Künstler- und Bürgertum.
«Mario und der Zauberer» (1930): Ein Roman, der die faschistischen Entwicklungen in Italien aufzeigt anhand eines Hypnotiseurs, der die Massen für sich gewinnt.
«Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» (1954): Ein launiger Schelmenroman mit einem liebenswürdigen Helden, der sich in die höheren Gesellschaftskreise hochschwindelt.
Dass die Öffentlichkeit auch Thomas Manns privateste Seite kennenlernt, wäre wohl in seinem Sinne gewesen. Denn wenige Jahre vor seinem Tod 1955 schrieb er in sein Tagebuch: «Es kenne mich die Welt nicht nur in dem, was ich als Literarisches geleistet habe, sondern in meinem Leid und in meinem Kampf.»
Buchhinweis
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Tilmann Lahme: «Thomas Mann. Ein Leben». dtv, 2025.
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