2012 vollführt die feministische Band Pussy Riot in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau ein «Punk-Gebet». Nach der Aktion gegen die Allianz von Kirche und Staat werden fast alle Mitglieder festgenommen. Daraufhin solidarisieren sich Menschen weltweit mit den Frauen, darunter Paul McCartney, Madonna und Björk.
Die internationale Aufmerksamkeit ist dem Kreml ein Dorn im Auge. Er reagiert mit voller Härte: Auf die Zeit im Straflager folgen regelmässige Festnahmen. Maria Aljochina beschreibt in ihrem Buch «Political Girl» das Leben im russischen «Arrestkarussell».
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Bild 1 von 3. 21.2.2012: Die russische feministische Gruppe Pussy Riot bei ihrem Protest in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Im Jahr 2012 startet auch Maria Aljochinas Erzählung im Buch «Political Girl». Bildquelle: Keystone/AP.
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Bild 2 von 3. Die drei Frauen – Yekaterina Samutsevich (links), Maria Aljochina (Mitte) und Nadezhda Tolokonnikova (rechts) werden verhaftet und ihnen wird der Prozess gemacht. Wegen «Rowdytums» wurden sie zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. (17.8.2012). Bildquelle: AP Photo/Misha Japaridze.
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Bild 3 von 3. Doch Pussy Riot erhielten weltweit Rückendeckung. Der Prozess hatte internationale Empörung ausgelöst, da er als Symbol für Russlands Intoleranz gegenüber Andersdenkenden galt. Demonstrierende vor der russischen Botschaft in Oslo. (17.8.2012). Bildquelle: Keystone/AP Photo/NTB Scanpix, Anette Karlsen.
Maria Aljochinas autobiografische Erzählung beginnt 2012 und spannt den Bogen über zwei Jahre Straflager, die Proteste während der Olympiade in Sotschi und der Annexion der Krim bis in die Gegenwart des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Darin schildert sie schnörkellos, wie Dauerüberwachung, wiederkehrende Verhaftungen und körperliche Gewalt zermürben.
Protokoll des Aktivistinnen-Daseins
Der Text ist temporeich, roh und häufig sprunghaft. Er verzichtet auf analytische Distanz und vertraut auf das Erlebte: Zellen, Polizeibusse, Farbattacken. Aljochina schmückt diese Szenen nicht aus, sondern protokolliert sie – etwa wenn Kosaken in Sotschi Aktivistinnen mit Peitschen schlagen.
Gerade darin liegt die Kraft ihres Stils: Sie legt den bürokratischen Apparat hinter der Gewalt offen und zwingt die Lesenden, Putins Russland nicht als abstrakte Gefahr, sondern als körperliche Realität wahrzunehmen.
Eindrücklich beschreibt Aljochina, wie einsam und ermüdend es ist, im 14-tägigen Rhythmus festgenommen zu werden. Im Buch sucht man Glamour vergeblich, selbst wenn die Aktivistin in Kalifornien auftritt oder sich Paul McCartney persönlich für ihre Freilassung einsetzt.
Aljochina verzichtet konsequent auf Selbstbeweihräucherung. Ihr Aktivismus hat seinen Preis – vor allem für ihren Sohn, der sechs Jahre alt ist, als sie 2012 ins Straflager kommt. Dass sie auch die Schattenseiten ihres Engagements zeigt, macht ihr Buch glaubwürdig.
Zitate berühmter Zeitgenossen kontrastieren die Alltagsbeschreibungen. Sobald sie mächtige Männer zu Wort kommen lässt, trifft ihre eigene Erfahrung auf den kühlen Zynismus derjenigen, die das System stützen.
Besonders entlarvend wirkt das Urteil des ehemaligen IOC-Präsidenten Thomas Bach über die Spiele in Sotschi: «Jeder Mensch mit unvoreingenommenem Blick konnte das Gesicht eines neuen Russlands sehen: effizient und freundlich, patriotisch und weltoffen.»
Aljochina lässt diesen Satz stehen. In Kombination mit ihren Schilderungen von Peitschenhieben, Überwachung und Festnahmen während der Spiele entfaltet er seine Wirkung von selbst – und steht beispielhaft dafür, wie erfolgreich Putins Propaganda verfangen hat und wie lange der Westen sie bereitwillig glaubte.
«Political Girl» ist kein komfortables Buch. Es ist ein Dokument der Gegenwart, geschrieben aus dem Inneren einer Gesellschaft, die Kritikerinnen systematisch zum Schweigen bringt. Schonungslos, ohne Lösungen. Maria Aljochinas Botschaft bleibt klar: Selbst wenn sie das Land am Ende des Buchs verlässt, ist Widerstand für sie alternativlos.