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Gegenkultur in Russland «Punk statt Putin»: Russische Musik im Kampf gegen das System

Trotz aller Repression findet kritische Musik in Russland noch statt – ob feministischer Punk oder experimenteller Elektro. Das zeigt die deutsche Journalistin Norma Schneider in ihrem neuen Buch. Ihr Fazit ist dennoch ernüchternd.

Am 21. Februar 2012 spielten sich in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau unerwartete Szenen ab: Fünf Frauen in bunten Kleidern und Sturmhauben stürmten den Altar und trugen ein «Punkgebet» vor. Die Botschaft: «Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!»

Vier Frauen in bunten Sturmhauben stehen vor einem goldenen Altar. Sie singen und tanzen. Ein Wachmann greift ein.
Legende: Punk im Prestigebau der orthodoxen Kirche: 2012 demonstrierten Pussy Riot in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Die Aktion machte sie weltberühmt. KEYSTONE / AP Photo / Sergey Ponomarev

Dieses «Punkgebet» hat die Protest- und Punkgruppe Pussy Riot veranstaltet. Sie «beteten» für Frauenrechte, gegen die politische Macht der orthodoxen Kirche und vor allem: gegen Putin. Dass sie dafür ins Gefängnis kamen, überrascht aus heutiger Sicht nicht – damals aber schlug der Fall Pussy Riot grosse Wellen.

«Plötzlich wurde in den westlichen Ländern sichtbar, dass es in Russland Protest gibt und dass der Staat nicht davor zurückschreckt, sehr hart dagegen vorzugehen», erklärt die deutsche Journalistin Norma Schneider. In ihrem neuen Buch «Punk statt Putin» befasst sie sich mit russischer Gegenkultur.

Buchhinweis

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Norma Schneider: «Punk statt Putin. Gegenkultur in Russland.» Ventil, 2023.

Der russische Staat instrumentalisiert Kultur, um für nationalen Zusammenhalt zu sorgen und befeuert dadurch staatsnahe Werte: traditionelle Familienstrukturen und Geschlechterrollen, die orthodoxe Kirche, und generell eine gesellschaftliche «Norm».

Alles, was diese Werte in Frage stellt, kann gegenkulturell sein. Dabei umfasst gegenkulturelle Musik etliche Genres und Themen, von politischem und feministischem Punk über queeren Rap bis hin zu satirischer Rave-Musik.

Nischen schwinden

Vor Beginn des Krieges gab es Spielraum für Musik, die sich gegen das Regime richtete. Veranstaltungen wurden nicht selten offen angekündigt und in sozialen Medien verbreitet. Teilweise wurden sogar Kunstpreise für kritische Werke vergeben. Es war jedoch schon damals mit Risiken verbunden.

Immer wieder verhinderte die Polizei Veranstaltungen, und Musikschaffende landeten auf der Blacklist oder im Gefängnis. Wen es traf, war unvorhersehbar und wirkte nach aussen willkürlich.

Um sich zu schützen, machen viele regimekritische Musikerinnen und Musiker eine Gratwanderung: Manche halten ihre Texte vage und vermeiden explizite Aussagen, andere verbergen etwaige politische Aussagen mit surrealen oder satirischen Inhalten.

Reaktion auf Navalnys Video zu Putins Protzpalast

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2021 veröffentlichte das Team des russischen Oppositionisten Alexei Navalny einen Dokfilm über «Putins Palast» , eine luxuriöse Villa mit grosser Anlage, die der russische Präsident angeblich mit korrupten Mitteln finanziert hat.

Einige russische Künstler haben auf dieses Video mit dem Lied «Akwadiskoteka» reagiert. Diese «Aquadisco» war nämlich im Gebäudeplan des Putin-Palasts eingezeichnet. Sie symbolisiert den Gipfel dieses absurden Reichtums.

Der Text und das Video des Liedes sind so absurd, dass es nicht als ernsthafte politische Aussage gesehen werden kann. Doch das Video vermittelt auf satirische Weise die Ohnmacht, die viele Menschen gegenüber der korrupten Regierung empfinden.

«Mittlerweile sind die Repressionen so stark, dass Gegenkultur wirklich nur noch im Verborgenen stattfinden kann und deswegen schwer aufzufinden ist», sagt Norma Schneider. Der grösste Teil der Gegenkultur findet im Exil statt.

«Es gibt keinen Tod mehr»

Eine der Exilbands ist das Duo «IC3PEAK». Sie ist vor allem bei jungen Menschen beliebt, weil sie mit ihrem «audiovisuellen Terror» die düstere und hoffnungslose Stimmung der Jungen in Russland einfängt. Im Song «Es gibt keinen Tod mehr» heisst es:

Ich spüle meine Augen mit Kerosin.
Lass alles brennen, lass alles brennen.
Ganz Russland schaut mir zu.
Lass alles brennen, lass alles brennen.

Junge Frau mit Pferdeschwanz singt in ein Mikro. Ein Mann steht hinter ihr an Mischpult, Computer und Plattentellern.
Legende: Das Duo der Elektroband IC3PEAK während einer Protestveranstaltung gegen Putins Regime 2019 in Moskau. Getty Images / Mikhail Svetlov

Die Reaktion des Staates: Das Duo wurde während seiner Tour 2019 von den Behörden behelligt und in Novosibirsk mehrere Stunden festgenommen, sodass es sein Konzert verpasste. Mittlerweile steht IC3PEAK gar auf der Blacklist für russische Kunstschaffende.

Düstere Aussichten

Norma Schneider zieht ein ernüchterndes Fazit: «Mit Kunst kann man im Moment leider nicht viel bewirken, ausser man stärkt den Zusammenhalt innerhalb der Oppositionen und zeigt, dass man nicht allein ist.»

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Radio SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 14.09.2023, 9:05 Uhr.

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