Am 21. Februar 2012 spielten sich in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau unerwartete Szenen ab: Fünf Frauen in bunten Kleidern und Sturmhauben stürmten den Altar und trugen ein «Punkgebet» vor. Die Botschaft: «Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!»
Dieses «Punkgebet» hat die Protest- und Punkgruppe Pussy Riot veranstaltet. Sie «beteten» für Frauenrechte, gegen die politische Macht der orthodoxen Kirche und vor allem: gegen Putin. Dass sie dafür ins Gefängnis kamen, überrascht aus heutiger Sicht nicht – damals aber schlug der Fall Pussy Riot grosse Wellen.
«Plötzlich wurde in den westlichen Ländern sichtbar, dass es in Russland Protest gibt und dass der Staat nicht davor zurückschreckt, sehr hart dagegen vorzugehen», erklärt die deutsche Journalistin Norma Schneider. In ihrem neuen Buch «Punk statt Putin» befasst sie sich mit russischer Gegenkultur.
Der russische Staat instrumentalisiert Kultur, um für nationalen Zusammenhalt zu sorgen und befeuert dadurch staatsnahe Werte: traditionelle Familienstrukturen und Geschlechterrollen, die orthodoxe Kirche, und generell eine gesellschaftliche «Norm».
Alles, was diese Werte in Frage stellt, kann gegenkulturell sein. Dabei umfasst gegenkulturelle Musik etliche Genres und Themen, von politischem und feministischem Punk über queeren Rap bis hin zu satirischer Rave-Musik.
Nischen schwinden
Vor Beginn des Krieges gab es Spielraum für Musik, die sich gegen das Regime richtete. Veranstaltungen wurden nicht selten offen angekündigt und in sozialen Medien verbreitet. Teilweise wurden sogar Kunstpreise für kritische Werke vergeben. Es war jedoch schon damals mit Risiken verbunden.
Immer wieder verhinderte die Polizei Veranstaltungen, und Musikschaffende landeten auf der Blacklist oder im Gefängnis. Wen es traf, war unvorhersehbar und wirkte nach aussen willkürlich.
Um sich zu schützen, machen viele regimekritische Musikerinnen und Musiker eine Gratwanderung: Manche halten ihre Texte vage und vermeiden explizite Aussagen, andere verbergen etwaige politische Aussagen mit surrealen oder satirischen Inhalten.
«Mittlerweile sind die Repressionen so stark, dass Gegenkultur wirklich nur noch im Verborgenen stattfinden kann und deswegen schwer aufzufinden ist», sagt Norma Schneider. Der grösste Teil der Gegenkultur findet im Exil statt.
«Es gibt keinen Tod mehr»
Eine der Exilbands ist das Duo «IC3PEAK». Sie ist vor allem bei jungen Menschen beliebt, weil sie mit ihrem «audiovisuellen Terror» die düstere und hoffnungslose Stimmung der Jungen in Russland einfängt. Im Song «Es gibt keinen Tod mehr» heisst es:
Ich spüle meine Augen mit Kerosin.
Lass alles brennen, lass alles brennen.
Ganz Russland schaut mir zu.
Lass alles brennen, lass alles brennen.
Die Reaktion des Staates: Das Duo wurde während seiner Tour 2019 von den Behörden behelligt und in Novosibirsk mehrere Stunden festgenommen, sodass es sein Konzert verpasste. Mittlerweile steht IC3PEAK gar auf der Blacklist für russische Kunstschaffende.
Düstere Aussichten
Norma Schneider zieht ein ernüchterndes Fazit: «Mit Kunst kann man im Moment leider nicht viel bewirken, ausser man stärkt den Zusammenhalt innerhalb der Oppositionen und zeigt, dass man nicht allein ist.»