Was unterscheidet Nelson Mandela von Nicolas Sarkozy? Richtig, die Reihenfolge: Mandela schrieb im Gefängnis ein Buch und wurde danach Staatsoberhaupt. Sarkozy hat es umgekehrt gemacht.
Ein weiterer kleiner Unterschied: Mandela wurde der Friedensnobelpreis zugesprochen. Sarkozy … noch nicht. Aber wer weiss, vielleicht ja bald der Literatur-Nobelpreis. Hinter Gittern entstanden schliesslich schon wahre Klassiker. Von Oscar Wilde zum Beispiel, der in seinem Brief «De Profundis» die Beziehung zu seinem Geliebten reflektiert und Fehler und Eitelkeiten eingesteht.
Auch Cervantes begann seinen berühmten Ritterroman «Don Quijote» zwischen Kerkerwänden. Ob Sarkozy bei dieser Weltliteratur mithalten kann? Zumindest erweist sich sein Kampf gegen die französische Justiz bislang nicht als einer gegen Windmühlen.
Autoren mit Schreibblockade dürften vor Neid freiwillig den Vollzug in der Strafanstalt anpeilen.
Sarkozy nannte seine Verurteilung im «Figaro» eine «unerträgliche Ungerechtigkeit» und beklagte die «Abwesenheit jeglicher Farbe» in seiner Zelle. «Grau beherrschte alles», sagte er. Dostojewski hätte wohl milde gelächelt – er schrieb seine «Aufzeichnungen aus einem Totenhaus» schliesslich in einem sibirischen Lager, wo Schnee und Eis für ein deutlich eintönigeres Farbspektrum sorgten. Dagegen wirkt Sarkozys Klage über die «Fifty Shades of Grey» seiner Zelle eher bescheiden.
Beklagen darf sich Sarkozy ohnehin nicht: Immerhin gelang ihm in der Einzelzelle in nur drei Wochen ein Bestseller – worauf die Vorbestellungen hindeuten. Autoren mit Schreibblockade dürften vor Neid freiwillig den Vollzug in der Strafanstalt anpeilen.
Spirituelle Eingebung gab’s für Sarkozy auch: Schon am ersten Tag in Haft kniete er, nach eigene Angaben, nieder und bat Gott um die Kraft, «das Kreuz dieser Ungerechtigkeit zu tragen». Erinnerungen an einen anderen schreibenden Häftling aus der Weltpolitik werden wach: Charles Colson, der Watergate-Sünder, der in seiner Autobiografie «Born Again» berichtet, wie er Jesus Christus begegnet sei, was ihn dazu veranlasste, sich vor der Justiz schuldig zu bekennen. So weit geht Sarkozys Erleuchtung dann doch nicht – seine Unschuld bleibt für ihn sakrosankt.
Sarkozy startete statt einem Rachefeldzug eine PR-Tour für sein Gefängnisbuch, Signierstunde an der Côte d’Azur inklusive.
Nicht nur Sarkozys eigenes Werk, auch die Lektürewahl für seine Haft lässt aufhorchen. Zum einen habe er eine Biografie jenes Mannes mitgenommen, der wie kein anderer für Vergebung steht: Jesus Christus. Allzu tief dürfte diese Lektüre allerdings nicht gewirkt haben. Denn das zweite Buch weist in eine andere Richtung: «Der Graf von Monte Christo». Alexandre Dumas’ Klassiker über einen zu Unrecht Verurteilten, der nach seiner Flucht einen Rachefeldzug startet. Glücklicherweise hielt Sarkozy sich nicht an diese Vorlage und startete statt einem Rachefeldzug eine PR-Tour für sein Gefängnisbuch, Signierstunde an der Côte d’Azur inklusive.
Wenn Sarkozy in drei Wochen ein Buch schreibt, schafft er in fünf Jahren vielleicht eine ganze Bibliothek.
Wer aber glaubt, Sarkozy ginge es nur um Publicity, unterschätzt den ehemaligen Staatsmann. Vielleicht steckt dahinter auch eine brillante juristische Strategie. Wenn Sarkozy in drei Wochen ein Buch schreibt, schafft er in fünf Jahren vielleicht eine ganze Bibliothek. Ein Risiko, das die französische Justiz der Öffentlichkeit möglicherweise nicht zumuten will.