Andreas Schlüter kämpft um Aufmerksamkeit. Mit seinem Buch «Fussballprofi – Ein Talent wird zum Star» wurde er nach Grünau geschickt. Grünau, der Plattenbau. In Leipzig Synonym für Überalterung, mangelnde Perspektiven, Trostlosigkeit. Und nun steht Schlüter da vor einer Schulklasse und liest an gegen schwatzende Schüler und auch ein wenig gegen das System.
Denn Grünau wird von der Buchmesse ignoriert – und das, obwohl fast ein Zehntel der Leipziger hier wohnt. Die Zahlen sprechen für sich: Über 3000 Veranstaltungen stehen auf dem Programm von «Leipzig liest», eine einzige davon fällt auf die Plattenbau-Siedlung. Versteckt im Hinterzimmer der kleinen Bibliothek Grünau-Mitte.
In Grünau nimmt man, was man kriegt
«Ja, wir werden hier draussen stiefmütterlich behandelt», sagt Bibliothekarin Kristina Püschel. Seit Jahren schon hätte es hier während der Buchmesse keine Lesung mehr gegeben. «Als wir nun eine Veranstaltung zugewiesen bekamen, dachte ich zuerst: Die haben sich geirrt.» Zwar wäre ihr eine Lesung für Erwachsene lieber gewesen, die Nachfrage dafür gäbe es. In Grünau aber nimmt man, was man kriegt.
Über die Gründe für die mangelnde Messepräsenz in Grünau kann Kristina Püschel nur mutmassen. «Die Autoren würden angeblich nicht hierher kommen wollen, heisst es. Oder Grünau sei zu weit weg.» Für die Bibliothekarin sind es Ausflüchte. Der Plattenbau, er scheint sich nicht gut zu machen im Programmheft.
Grosse Nachfrage nach Literatur
Dabei böte Grünau Potential: Die Platte liest, und das nicht wenig. Im Belletristik-Bereich sei die Nachfrage gross, gerade historische Romane und Krimis würden stark nachgefragt. Für ältere Menschen und Pendler hat man den Hörbuch-Bestand ausgebaut, «und bei Neuerscheinungen übersteigt die Nachfrage schon mal das Angebot.»
Mangel herrscht auch anderswo. Die vielen fremdsprachigen Bewohner müssen an die Zentralbibliothek in die Innenstadt verwiesen werden – für entsprechende Literatur fehlt in Grünau das Geld. Auch hier böte sich der Messe eine Chance: Fremdsprachige Literatur ist auf dem Messegelände gut vertreten, die Stände aber wenig besucht.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Immerhin: 1 Lesung von 3000 ist ein Anfang. Und vielleicht ist diese Lesung auch ein kleines Zeichen: Ein Zeichen, dass die Grünau die Talsohle durchschritten hat. Gerade Familien würden wieder vermehrt hierherziehen, beobachtet Kristina Püschel. Erste Stimmen erklären die Platte bereits zum künftigen Boomquartier . Und vielleicht, ja vielleicht ist dies auch bei der Buchmesse angekommen. Bibliothekarin Püschel jedenfalls hofft auf nächstes Jahr.