Nobelpreis für Literatur - Jon Fosse zeigt die Tragik der menschlichen Existenz
Den Literaturnobelpreis erhält in diesem Jahr Jon Fosse – ein langer Anwärter auf den Preis. Der Norweger schreibt stille, tief-traurige Theaterstücke und Romane. Die Trostlosigkeit des Lebens fasst er in Worte.
Jon Fosse sass gerade im Auto, als ihn der Anruf von Mats Malm erreichte. Malm ist der Sprecher der Schwedischen Akademie – und er ist es gewöhnt, dass seine Anrufe zunächst für einen Scherz gehalten werden. Jon Fosse jedenfalls konnte es nicht glauben: Er erhält den Nobelpreis für Literatur 2023.
Fosse ist der vierte Norweger, dem diese Ehre zuteilwird. Und inzwischen weiss er, dass Malms Anruf kein Scherz war: «Ich bin überwältigt», sagte Fosse der schwedischen Zeitung «Svenska Dagbladet». Er sei «sehr, sehr froh». Gleichzeitig habe er aber auch Angst vor all der Aufmerksamkeit, die der Nobelpreis mit sich bringe.
Scheu vor der Öffentlichkeit
Dass Jon Fosse sich über die Aufmerksamkeitswelle, die nun angerollt ist, nicht so recht freuen kann, verwundert nicht. Schon vor Jahren hat sich Fosse aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen: 2012 erlitt er einen Zusammenbruch und eine Alkoholvergiftung. Neben der Öffentlichkeit meidet er seither auch den Alkohol.
Jon Fosses Werk
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Jon Fosses Werk umfasst rund 70 Romane, Erzählungen und Theaterstücke.
Zunächst veröffentlichte er Lyrikbände und Romane, darunter auch die dreiteilige Kinderbuchserie «Hundemanuskripta» und «Søster», zu deutsch «Schwester». Letzteres erhielt 2007 den Deutschen Jugendliteraturpreis.
Ab Mitte der 1990er Jahre schrieb Fosse vorrangig Theaterstücke. Schnell galt er als wichtigster Dramatiker Norwegens seit Hendrik Ibsen. Zahlreiche seiner Stücke wurden auch in Zürich aufgeführt.
In jüngster Zeit widmet sich Fosse wieder der Prosa. Zuletzt erschien von ihm der mehrteilige Roman «Der andere Name. Heptalogie I-II» und «Ich ist ein anderer. Heptalogie III-V». An dessen Fortsetzung arbeitet Fosse aktuell.
Fosse ist auch als Übersetzer tätig und hat beispielsweise Werke von James Joyce, Samuel Beckett und Franz Kafka ins Norwegische übertragen.
Jon Fosse wurde 1959 geboren. Aufgewachsen ist er an der südnorwegischen Küste, am Hardangerfjord. Die raue Melancholie dieser Landschaft prägt bis heute seine Geschichten, die Wellen des Meeres den Rhythmus seiner Sprache.
Nahtod-Erlebnis als Kind
Im Alter von sieben Jahren hatte Fosse einen Unfall, bei dem er beinahe ums Leben gekommen wäre. Dieses Erlebnis brachte ihn zum Schreiben. Er habe angefangen zu schreiben, weil er sich fremd gefühlt habe gegenüber seinen Mitmenschen, sagte er einmal in einem Interview. Schreibend wollte er die Distanz überbrücken.
Zunächst schrieb Fosse Lyrik und Prosa. Er debütierte 1983 mit Roman «Raudt, svat» («Rot, schwarz»), einem düsteren Buch. Es handelt von einem Halbwüchsigen, der seinem engstirnigen Elternhaus entfliehen will und versucht, sich das Leben zu nehmen.
Düstere Texte und Themen
Ab Mitte der 1990er Jahre schrieb Jon Fosse vorrangig Theaterstücke. Einige davon wurden auch im Schauspielhaus Zürich aufgeführt. Sein dramatisches Werk hat Fosse bekannt gemacht.
Schon lange galt er als Anwärter auf den Nobelpreis. Nun hat er ihn also bekommen. Mats Malm von der Schwedischen Akademie begründete die Wahl damit, dass Fosse dem «Unsagbaren eine Stimme» gebe.
Fosses Stücke sind oft beklemmende Kammerspiele. Er zeigt Figuren mit gescheiterten Lebensentwürfen. Diese Figuren sagen meist nicht viel. Und genau darin besteht Fosses grosse Kunst: Er zeigt die Tragik der menschlichen Existenz mit den Worten, die
nicht
gesagt werden. Seine Figuren können weder vor noch zurück. Sie sind gefangen in Einsamkeit.
Gefühl völliger Verlorenheit
Seit seiner Alkoholvergiftung schreibt Jon Fosse keine Theaterstücke mehr. Heute fokussiert er sich auf Romane und arbeitet an der Fortsetzung einer Heptalogie, also eines siebenteiligen Roman-Zyklus.
Auswahl an Literaturnobelpreisträgerinnen und -trägern
Wie in den Theaterstücken arbeitet Fosse auch in der Prosa mit einer reduzierten Sprache und vielen Wiederholungen von Worten oder Sätzen. Auch hier geht es um die Unfähigkeit, das Richtige, ja, das eigentlich Wichtige zu sagen. Um das Gefühl völliger Verlorenheit, das Fosse selbst kennt.
«Über die wesentlichsten Dinge des Lebens kann man nur in der Kunst sprechen», hat Fosse einmal in einem Interview gesagt. Seine Kunst hat Fosse nun zum wichtigsten Literaturpreis der Welt geführt.
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