Der Anpassungsdruck unserer Zeit treibt bisweilen bizarre Blüten. Spätestens dann, wenn die Literatursprache ins Visier gerät. So hat kürzlich die «IG Autorinnen und Autoren», der Dachverband der österreichischen Schriftstellerverbände, einen Hilfeschrei in Richtung Mannheim ausgestossen.
Der österreichische Landesverband schrieb in einer Depesche an die Mannheimer Sprachräte, in seinen Stammlanden würden gestrenge Verlagslektorinnen und -Lektoren der schreibenden Zunft gehäuft auf die Finger hauen: Die Schreibe folge nicht den gängigen Regeln.
Kann das sein? Beherrschen die österreichischen Autorinnen und Autoren ihr Handwerk nicht? Vielleicht tatsächlich nicht immer. Im aktuellen Fall ist die Sachlage jedoch eine andere.
Freiheit des Worts
Wer schreibt, will sich nicht sklavisch an die orthographischen Schranken des Wörterbuchs halten. Diese sind für Schulen oder Ämter verbindlich. Wer indessen Kunst betreibt, nimmt sich von Berufs wegen gerne Freiheiten heraus – auch sprachlich-orthographische.
Tatsächlich wimmelt es in der Literatur nur so von sprachlichen «Fehlern». Man denke nur schon an James Joyce, der in seinem «Ulysses» über Seiten auf Satzzeichen verzichtete, Rechtschreibfehler einbaute und mit Wortneuschöpfungen spielte.
Auch Goethe, der deutsche Sprachtitan schlechthin, hielt sich nicht immer an die Regeln. In seinem Werk über «Die Leiden des jungen Werther» liess er den von Liebesqualen zermürbten Helden zuhauf abgebrochene Sätze ausstossen – als Ausdruck von dessen emotionaler Erschütterung.
Grenzüberschreitungen als Stilmittel
Im 20. Jahrhundert legten Nobelpreisträger wie Heinrich Böll oder Günter Grass ihren Figuren gelegentlich – «falsche» – umgangssprachliche Wendungen in den Mund. Die «unkorrekte» Rede entsprach den jeweiligen Lebenswelten der Figuren – und machte diese erst glaubwürdig.
Und experimentelle Autoren wie Arno Schmidt zeigten sich gelegentlich als regelrechte Orthografie- und Syntaxverächter. Schmidt entwickelte eine eigene sprachliche Artistik, die bewusst provozieren sollte. Der Regelbruch lud zum Reflektieren über Sprache ein – und über ihr innewohnende Machtstrukturen.
Ähnlich Ernst Jandl. Man stelle sich sein lautmalerisches Gedicht «schtzngrmm» in korrektem Deutsch vor: «schtzngrmm, t-t-t-t, grrrmmmmm». Wie, bitte sehr, geht dies sprachlich «richtig»? Eben.
Freibrief für die Literatur
Der «Rat für deutsche Rechtschreibung» hat den Hilfeschrei aus Österreich gehört. Er stellt sich in seiner Stellungnahme hinter die drangsalierten Autorinnen und Autoren: Die Regeln seien «nicht bindend für belletristische Texte».
Es gelte «Respekt vor jenen Abweichungen von der Rechtschreibnorm» zu zeigen, welche mit ästhetischer Absicht ins Werk gelangen. Sie seien «durch die künstlerische Freiheit begründet».
Die «Fehler» in literarischen Werken wären damit nun amtlich sanktioniert. Und Autorinnen und Autoren dürften das Schreiben aus Mannheim künftig allzu regelverliebten Lektoren genüsslich um die Ohren hauen.