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Romandebüt von Woody Allen Ein dünnes Buch ohne dicke Überraschungen

Kurz vor seinem 90. Geburtstag hat Woody Allen seinen ersten Roman veröffentlicht, über einen selbstgerechten Hypochonder. Das Buch ist überraschungsarm, aber besser als mancher von Allens letzten Filmen.

Asher Baum ist keine sympathische Figur. Der New Yorker Schriftsteller ist missgünstig und selbstgerecht, ein unverbesserlicher Pessimist und ein nervöser Hypochonder.

Dass sein Buch über eine Liebesgeschichte im KZ von der Kritik zerrissen wird, versteht er als Auszeichnung – nichts ist ihm mehr zuwider als kommerzieller Erfolg. Dennoch beobachtet er mit glühendem Neid, wie sein ungeliebter Stiefsohn plötzlich zum literarischen Shootingstar wird.

Laute Streitselbstgespräche

Wegen seiner Frau ist Baum von New York nach Massachusetts aufs Land gezogen, was ihm zuwider ist. Er fürchtet sich vor Käfern und Hunden, und während er sich von seiner Frau immer mehr schlecht behandelt fühlt, trauert er vergangenen Beziehungen nach.

Älterer Mann im Anzug, posiert vor Fotografen auf rotem Teppich.
Legende: Im Blitzlichtgewitter ist Woody Allen kaum noch anzutreffen. Statt eines neuen Films hat er nun einen Roman geschrieben. Getty Images / Andreas Rentz

Nicht nur in der Beziehung und bei der Arbeit geht es bergab. Baum führt auch zunehmend Selbstgespräche – immer öfter bemerkt er, wie seine laut geführten inneren Gefechte für verstörte Blicke sorgen. Aber anders geht es nicht: «Es gab niemanden, der Asher Baum richtig verstand, ausser Asher Baum. Kein Psychiater, keine Ex, kein Freund, die über die Jahre alle verschwunden waren. Keiner, der Sinn machte ausser ihm selbst.»

Allen, Baum und der Stadtneurotiker

Asher Baum ist eine typische Allen-Figur. Man kennt ihn schon, bevor man das Ende der ersten Seite erreicht hat. Bis hierhin hat sich die Figur bereits unverkennbar selbst beschrieben: traurige Augen, «semitische» Nase und eine schwarz umrandete Brille. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind hier keineswegs zufällig: Asher Baum sieht aus wie Woody Allen.

Mann und Frau sitzen nebeneinander und unterhalten sich.
Legende: Hadern mit sich, der Welt und den Frauen: Woody Allens Filme handeln meist von unglücklich verliebten Neurotikern – wie hier in «Annie Hall» (1977). IMAGO / Picturelux

Allen weiss, dass man seinen ersten Roman auf Hinweise auf sein eigenes Leben abklopfen wird. Schreibt Allen in seinem Buch über den Missbrauchsskandal? Seinen schwindenden Erfolg als Regisseur?

Allen lässt uns glauben, er seziere tatsächlich sein eigenes Leben – die Parallelen zwischen Protagonist und Autor sind nicht zu übersehen. Im Buch vermischt sich der echte Allen mit seinem medialen Bild und seinen Filmfiguren.

Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe?

In «What’s with Baum», einem schmalen Bändchen von gerade mal 100 Seiten, treibt Allen sein Spiel mit Erwartungen. Auch Baum wird ein Übergriff vorgeworfen: Er hat nach einem gelungenen Interview versucht, die Journalistin gegen ihren Willen zu küssen. Ein Zeitungsartikel, in dem sie den Übergriff öffentlich macht, soll in wenigen Tagen erscheinen. Das hat Baum von seinem Verleger erfahren, der ihn im gleichen Zug gefeuert hat.

Buchhinweis

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Woody Allen: «What's with Baum?», Post Hill Press, 2025. Eine deutsche Übersetzung ist bisher nicht angekündigt.

Man wartet darauf, dass Allen hier seine eigene Erfahrung mit Missbrauchsvorwürfen aufarbeitet. Aber das Damoklesschwert fällt nicht, der mediale Skandal bleibt aus. Allen lässt uns auflaufen, Vergangenheitsbewältigung in eigener Sache gibt es nicht in diesem Buch. Wozu auch – das wenige, das Allen dazu sagen will, hat er erst kürzlich in seiner Autobiografie niedergeschrieben.

Anders als diese ist «What’s with Baum?» eine vergnügliche Lektüre. Das Büchlein hält einiges an Witz und dramaturgischen Hakenschlägen bereit. Das ist stimmiger, lustiger und inspirierter als mancher Film, den Allen in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht hat. Neue Wege beschreitet Allen mit seinem Roman freilich nicht. Aber schon als Filmemacher zeichnet ihn aus, dass er neue Erzählweisen für den immer gleichen Stoff findet.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 7.10.2025, 17:10 Uhr.

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