Der deutsche Schriftsteller Thomas Melle machte 2016 mit dem furiosen Buch «Die Welt im Rücken» seine bipolare Krankheit öffentlich. Nun legt er nach: «Haus zur Sonne» ist für den Deutschen Buchpreis nominiert und verbindet Krankheitsbericht mit Dystopie. Und: es steht in einer langen Tradition. Fünf weitere literarische Lesetipps, die allesamt eindrückliche Geschichten über psychische Erkrankungen erzählen.
Georg Büchner: «Lenz», 1839
Ein Mann wandert wie unter Strom durch winterliches Gebirge. Mehr und mehr verliert er die Orientierung. Die Welt wird ihm unheimlich. Er erholt sich auch nicht, nachdem er endlich beim Pfarrer eintrifft, den er besuchen wollte. An seinem Leben leidet er von klein an. Der Mann ist der Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz. In der 1839 posthum veröffentlichten Erzählung «Lenz» beschreibt der deutsche Schriftsteller Georg Büchner den Absturz seines Kollegen in die Psychose einfühlsam und unerbittlich.
Sylvia Plath: «Die Glasglocke» (1963)
Eine junge Frau, früh auf Leistung getrimmt, bekommt die Chance, bei einer angesagten Frauenzeitschrift in New York ein Praktikum zu absolvieren. Sie gibt ihr Bestes, ist aber heillos überfordert. Sie kehrt wie ein geprügelter Hund nach Hause zurück und unternimmt einen Suizidversuch. Es folgen ein Klinikaufenthalt und Elektroschocks. Die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath erzählt in ihrem einzigen Roman eine autobiografisch grundierte Coming-of-Age-Geschichte, die trotz aller Tragik hinreissend komisch ist.
Tove Ditlevsen: «Gesichter», 1968
Die dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen litt schon als Kind unter Psychosen. Immer wieder war sie als Erwachsene in Kliniken, immer wieder biss sie sich durch. Ihr autofiktionaler Ehe- und Trennungsroman behandelt Themen wie Paranoia, Identitätsverlust und die verzerrte Realitätswahrnehmung hyperrealistisch und hochpoetisch. Für die Musikerin Patti Smith ist Tove Ditlevsen eine «monumentale Autorin». Und «Gesichter» ist ein monumentales Buch.
Gerbrand Bakker: «Knecht, allein», 2016
Der niederländische Autor Gerbrand Bakker hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem Hund. Für das Tier war er «von Natur aus depressiv» und überdies Knecht. Nun ist der Hund tot, und sein Herrchen beziehungsweise Knecht rutscht immer tiefer in eine seine schweren Depressionen. Mit bewundernswerter Offenheit schildert Gerbrand Bakker, wie er selbst und die Welt um ihn herum sich durch die Krankheit verändern. Er begegnet seinem Leiden aber auch mit nüchterner Klugheit. Das macht seinen Bericht zu einer packenden Lektüre.
Benjamin von Stuckrad-Barre: «Panikherz», 2016
Ein Leben als Wunderkind der Popkultur – dann der Absturz: Alkohol, Drogen, Bulimie und Selbsthass. Nur mit Glück konnte sich der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre aus seinen Abhängigkeiten lösen. «Panikherz» ist schillernde Lebensbeichte und Abgesang auf den popkulturellen Glitzerglanz der 1990er- und 2000er-Jahre. Zudem erzählt das Buch davon, wie wenig es braucht, um in eine Krise zu schlittern und wie schwierig es sein kann, ihr die Stirn zu bieten.