SRF: Najem Wali, was waren Ihre Gedanken, als Sie vom jüngsten Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran in Syrien und auf den Golanhöhen hörten?
Najem Wali: Diesen gegenseitigen Beschuss erlebte ich als absolut surreal. Es stellte sich die Frage, ob sich die Grossmächte einmischen würden. Die USA stehen auf der Seite von Israel, Russland auf der Gegenseite. Hätten die Grossmächte eingegriffen, wäre dieser sinnlose Beschuss zum Auslöser eines Weltkriegs geworden.
Die Lage in Syrien scheint immer verworrener. Glauben Sie noch an einen Frieden?
Es ist kein Frieden in Sicht. Im Gegenteil: Der gegenseitige Beschuss von Israel und dem Iran lässt wenig Hoffnung auf ein baldiges Ende zu. Dass sich die Grossmächte jedoch zurückhielten, deutet aber darauf hin, dass hinter den Kulissen intensiv verhandelt wurde.
Vielleicht ist das wiederum ein Zeichen dafür, dass sich im Hintergrund etwas tut, das Bewegung bringen könnte in die verworrene Situation.
In Ihren Büchern thematisieren Sie auf verschiedene Weise die Konflikte im Nahen Osten. In «Die Balkanroute» von 2017 greifen Sie zum Beispiel das Flüchtlingselend auf. Was treibt Sie an, darüber zu schreiben?
Ich bin in den 1980er-Jahren selbst aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Mir geht es heute sehr gut: Ich schreibe Bücher, sie werden gelesen. Ich esse mindestens drei Mal pro Tag, ich trinke im Durchschnitt eine Flasche Wein pro Tag. Dennoch setzt mir der Gedanke an die Millionen von Flüchtlingen zu.
Das Schreiben vermittelt zwischen meiner Erfahrung und der heutigen Realität.
Das Schreiben ermöglicht es mir, zwischen meiner Erfahrung und der heutigen Realität zu vermitteln. In meinen Büchern zeige ich, dass beispielsweise jeder Flüchtling eine eigene Geschichte hat, die zu erzählen es sich lohnt. Solche Geschichten lassen Empathie mit den Schwächsten entstehen.
Ihre Bücher erscheinen sowohl im Westen als auch im Nahen Osten im arabischen Original. Welches Publikum ist Ihnen wichtiger?
Das kann ich nicht sagen. Ich wünsche mir, dass meine Bücher von so vielen Menschen wie möglich gelesen werden, in so vielen Sprachen wie möglich. Natürlich erzähle ich von Menschen aus dem Nahen Osten. Aber ihre Problematik ist universell.
So gesehen erzähle ich auch von Menschen, die hier leben. Auch wenn sie derzeit das Glück haben, nicht von einem Krieg heimgesucht zu werden.
Sie möchten Empathie für die Geschundenen und Geknechteten wecken. Glauben Sie, mit Ihrer Literatur einen Beitrag zum Frieden leisten zu können?
Bücher können zweifelsohne unser Leben verändern. Wenn ich nicht mit fünfzehn Jahren Rilke gelesen hätte und dem Zauber seiner Sprache erlegen wäre, hätte ich nicht an der Universität Bagdad Germanistik studiert.
Ohne Rilke sässe ich jetzt nicht hier in Solothurn.
Ich wäre nie nach Deutschland gelangt und sässe jetzt auch nicht hier in Solothurn. Vielleicht bewirke ich mit meinen Büchern bei anderen ja auch eine Veränderung.
Das Gespräch führte Felix Münger.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext. 11.5.18, 9.02 Uhr