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Solothurner Literaturtage Natur-Literatur: Für einen Augenblick verzaubert

Gräser, Vögel, Berglandschaften – die Natur ist zurück in der Literatur. Auch an den Solothurner Literaturtagen. Dahinter steckt mehr als ein Verkaufsargument.

Arno Camenisch, Barbara Schibli, Christian Kaiser, Thilo Krause, Raphael Urweider – sie alle treten an den diesjährigen Solothurner Literaturtagen auf. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle in ihren aktuellen Werken die Natur zum zentralen Thema machen.

Noch nie sei die Natur in der 40-jährigen Geschichte der Literaturtage so häufig ein zentrales Thema gewesen, sagt Reina Gehrig, die Leiterin des Festivals. Sie betont, dass man das Thema nicht etwa bewusst gesetzt habe.

Vielmehr präsentiere man in Solothurn stets einen Ausschnitt des aktuellen literarischen Schaffens. «In diesem Jahr wird sichtbar, wie sehr die Natur die Autorinnen und Autoren offenbar beschäftigt», sagt Reina Gehrig.

Land und Dorf werden zu Sehnsuchtsorten

Die Literatur liegt damit ganz offenbar im allgemeinen gesellschaftlichen Trend: Nach Jahren, während derer die Stadt als Wohnort als erstrebenswert galt, möchten derzeit 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer auf dem Land wohnen – sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Dies besagt eine aktuelle Umfrage des Hypothekenvermittlers Moneypark.

Das Urbane verliert in Zeiten der zunehmenden Verstädterung und des ungebremsten Verlusts von Kulturland offenkundig an Attraktivität. Das Land und das Dorf boomen und werden zu Sehnsuchtsorten.

So findet etwa die Ringier-Publikation «Landliebe» Hunderttausende von Leserinnen und Lesern und hat Traditionstitel wie die «Schweizer Illustrierte» oder die «Schweizer Familie» überflügelt.

Sogar Migros und Coop machen auf Land

Unlängst haben auch Grossverteiler die Begeisterung der Städter nach der vermeintlichen ruralen Ursprünglichkeit entdeckt: Migros und Coop inszenieren ihre Gemüse- und Obstauslagen aufwendig als regelrechte Marktlandschaften. Oft scheint nur noch der Jauchegeruch zu fehlen, um sich als Kunde tatsächlich «ganz weit draussen» zu fühlen.

Und: Wer hätte noch vor zwanzig Jahren gedacht, dass das Wandern dereinst eine Trendsportart werden würde – gerade auch bei Jungen? Oder dass Städter unter dem Label «Urban Gardening» in einer Holzkiste auf dem Balkon ein paar Tomatensträucher anpflanzen – und dies mit Wonne?

Literatur lässt bei den Verlagen die Kasse klingeln

Ganz offensichtlich handelt es sich bei dieser neuen Natursehnsucht um einen gesellschaftlichen Megatrend, der sich nun mehr und mehr auch in der Literatur zeigt. In Solothurn, und auch anderswo.

Am traditionsreichen Literaturfestival «Eventi letterari Monte Verità» in Ascona etwa trafen sich im letzten März während vier Tagen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Publizisten und Naturwissenschafter zum Gedankenaustausch über die Rolle der Natur in der Literatur.

Zudem haben die Verlage die Natur als Thema entdeckt, das die Kasse klingeln lässt. Und nicht nur bei den Trivialromanen, die sich umso besser zu verkaufen scheinen, je intakter und heiler die Naturkulisse ist, vor der die Geschichte spielt.

Der renommierte Literatur- und Sachbuchverlag Matthes und Seitz in Berlin etwa bringt seit fünf Jahren die Reihe «Naturkunden» heraus. Die bisher 45 Bände verhandeln auf oft hohem literarischen Niveau Vogelfedern, Äpfel und Birnen, Kröten und Schafe.

Natur ist in der Literatur nichts Neues

Dass die Natur als Thema in der Literatur eine Hochkonjunktur feiert, ist historisch gesehen nichts Neues. Immer wieder gab es Phasen, während derer Autorinnen und Autoren der Landschaft und der Tier- und Pflanzenwelt besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Am ausgeprägtesten wohl während der Epoche der Romantik im 18. und 19. Jahrhundert. Dichter wie Eichendorff oder Novalis verklärten die Natur zum Sinnbild für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Man attestierte der Natur eine Seele, die scheinbar alles durchdringt.

Auch in der jüngeren Vergangenheit thematisierten Autorinnen und Autoren die Natur verschiedentlich. Oft diente jedoch die beschriebene Landschaft bei Mondschein oder bei Regenwetter oder bei Frühlingssonne als blosse Illustration für den Seelenzustand der Protagonisten.

Mit dem Aufbrechen der Umweltdebatte ab den 1970er-Jahren rückte zudem eine ökologische Sicht in den Vordergrund: Es ging darum, sich mit den Mitteln der Literatur gesellschaftlich-politisch zu engagieren und die bedrohte Natur vor dem Raubbau zu schützen.

Heute geht es um Verhältnis Mensch und Natur

Und heute? Heute spielt die Natur in den Werken der einzelnen Autorinnen und Autoren eine ganz unterschiedliche Rolle. Oft ist sie dabei mehr als lediglich der Ausdruck des möglicherweise kurzlebigen Modetrends, der Städter aufs Land ziehen lässt.

«Ansichten»

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Die SRF-Plattform «Ansichten» stellt aktuelle Schweizer Autorinnen und Autoren und deren Werk vor.

Vielmehr stellen zahlreiche moderne Autorinnen und Autoren mit viel Ernsthaftigkeit die Beziehung des modernen Menschen zur Natur – oder die Suche danach – ins Zentrum. Wir Leser dürfen daran teilnehmen.

Zwei Bergspitzen, davor ein grosser Nadelwald und eine grüne Wiese. Blauer Himmel.
Legende: Die Natur ist gefährdeter denn je – einer der Gründe, warum sie so oft in der Literatur anzutreffen ist? IMAGO/xblickwinkel

So braucht etwa Barbara Schibli die wuchernde Flechte als Bild, um eine persönliche Geschichte zu erzählen. Raphael Urweider beschwört in einem seiner wundervollen neuen Gedichte die Natur, die selbst in der Megacity Shanghai zwischenzeitlich aufblitzt und den verstädterten Menschen für einen Augenblick verzaubert.

Das Besondere an der Naturbeschreibung der Gegenwart liegt wohl darin, dass sie oft suchend bleibt. Und dass sie diese Suche als Teil des Mensch-Seins begreift. Darin schwingt stets auch mit, dass die Natur noch nie so gefährdet war wie heute.

Sendung: Kultur aktuell, Radio SRF 2 Kultur, 11.5.2018, 7:20 Uhr.

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