Das glamouröse Autoren-Paar Joan Didion und John Gregory Dunne adoptierte 1966 ein Baby, Quintana. Das «wunderschöne, perfekte Kind» wuchs behütet auf. Fotos zeigen eine heile Welt, am Esstisch, im Park, am Strand. Doch Quintana wurde alkoholkrank und suizidal. Mit 39 starb sie an den Folgen ihrer Sucht.
Zwei Jahre zuvor starb ihr Adoptivvater. Nach einem Besuch an Quintanas Krankenbett erlitt er einen Herzinfarkt. Über diese beiden Verluste schrieb Joan Didion Trauerbücher, die sie weltberühmt machten – «Das Jahr magischen Denkens» (für John Gregory Dunne) und «Blaue Stunden» (für Quintana Dunne).
Elfe mit Superhirn
Joan Didion selbst starb 2021, 87-jährig. Zu Lebzeiten war sie eine der berühmtesten US-amerikanischen Autorinnen. Und überdies eine Stil-Ikone. Noch im hohen Alter wurde sie das Gesicht des Modelabels Celine. Ihre Sonnenbrillen waren immer deutlich grösser als jene von Audrey Hepburn.
Auf ihr Äusseres gab Joan Didion allerdings nicht viel. Sie war die Elfe mit dem Superhirn, die scheinbar schusselige Reporterin mit messerscharfer Feder. Ein Buch wie «Das weisse Album» konnte nur sie schreiben – gnadenlos liess sie die Hippie-Träume in der Luft zerplatzen, und den amerikanischen Traum gleich mit.
Neben Norman Mailer und Truman Capote galt sie als wichtigste Vertreterin des New Journalism, eines subjektiven und knallharten Zugriffs auf die Realität. Sie verkehrte in Hollywoods besten Kreisen und schrieb neben Romanen und Reportagen zusammen mit John Gregory Dunne Filmdrehbücher, etwa jenes zu «A Star Is Born».
Sie lebte mit Mann und Kind in New York und in Malibu, wo ihr der Schauspieler Harrison Ford die Bücherregale zimmerte. Sie reiste viel, schrieb unermüdlich und kochte mit Leidenschaft. Sie fand, sie, ihr Mann und ihre Tochter hätten ein gutes Leben. Doch etwas ging schief.
Bodenlose Verzweiflung
«Notizen für John» sind Therapieprotokolle, die Joan Didion für ihren Mann schrieb. Zwischen Dezember 1999 und Januar 2002 hielt sie fest, was sie mit ihrem Psychiater besprach. Es ging um die Probleme der Tochter und letztlich auch um ihre eigenen. Ans repetitive «ich sagte», «er sagte» muss man sich erst gewöhnen. Dann aber wird es bodenlos.
Was haben wir falsch gemacht? Haben wir Quintana mit unserem Erfolgsleben überfordert? Hätte ich nicht so viel arbeiten sollen? Es sind Fragen wie diese, die doch nicht beantworten, warum Quintana abstürzte. Spürbar wird eine überstarke Bindung zwischen Mutter und Tochter. Beide plagen auch eine diffuse Lebensangst und das Gefühl, nicht zu genügen.
Keine Enthüllungen
Vor der Publikation der «Notizen für John» aus Joan Didions Nachlass wurde debattiert, ob es statthaft sei, ein so intimes Dokument ohne Einwilligung der Autorin zu veröffentlichen. Man tue Didion keinen Gefallen damit, ja, man demontiere sie.
Das ist nicht der Fall, die Notizen enthalten keine Enthüllungen. Aber sie sind in gewisser Weise leer, sind nicht Literatur, noch nicht einmal Journalismus. Die vielen Aspekte des Dramas um Quintana verteilen sich wie ungeordnete Scherben durch das Buch. Und trotzdem hat es seinen Wert als Protokoll einer Verzweiflung über ein suchtkrankes Kind, dem nicht zu helfen war.