«Sogar die Zürcher Polizei schien zu tanzen und die Autos ergriffen die Flucht. Aber nicht vor einer gewalttätigen Demo, sondern vor den dröhnenden Bässen einer Musik, die Techno heisst», erklärt der Sprecher der «Tagesschau» von 1992.
Die elektronische Tanzmusik aus dem Underground ist damals noch kaum bekannt. An der ersten «Demonstration für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz», wie sie damals heisst, nehmen nur knapp 2000 Menschen teil. Die sind dafür umso euphorischer, während sie hinter gerade einmal zwei Love Mobiles her tanzen.
Dabei zieht die Parade nicht über irgendeine Strasse, sondern über das teuerste Pflaster der Schweiz, nämlich die Zürcher Bahnhofstrasse. Das hat Symbolkraft, denn damit tanzte der Techno mitten am Tag mitten in die Gesellschaft hinein.
Ein Jahr später finden schon 10’000 Menschen den Weg nach Zürich, um zur Musik von Sven Väth durch die Limmatstadt zu tanzen. Die Bahnhofstrasse ist diesmal tabu. Die Stadt Zürich verweigerte die Bewilligung.
Techno-Event kurz vor dem Aus
«Die Street Parade ist Jugendkultur in Reinkultur», schwärmt Parade-Gründer und Organisator Marek Krynski. Der Zürcher Stadtrat sieht das anders und will die Veranstaltung in ihrem dritten Jahr, 1994, verbieten.
«Die Veranstaltung ist schlicht zu gross für die Innenstadt von Zürich. Dem muss man Rechnung tragen», sagt der damalige Polizeivorsteher Robert Neukomm von der SP. Sie habe ein Ausmass und damit einen Schallpegel erreicht, der in einer viel zu weiten Umgebung wahrgenommen werde. Und schliesslich interessiere sie nur «einen unwesentlichen Teil der Bevölkerung».
Auch den Drogenkonsum an der Street Parade müsse man dringend thematisieren: «Das ist ein Problem der ganzen Techno-Szene», so der Polizeivorsteher.
Der Stadtrat befürchtet, die Street Parade könne als «Werbeveranstaltung für die Designer-Droge Ecstasy benutzt werden». Auch die Sicherheit und der Abfall machen der Zürcher Regierung Sorgen.
Der hüpfenden Subkultur soll der Dancefloor unter den Füssen weggezogen werden. Die Street Parade steht vor dem Aus.
Wochenlang protestieren die Raver gegen das drohende Verbot. Dabei werden sie von den Medien und vielen Bürgerinnen unterstützt. Am Ende kann die Street Parade doch stattfinden.
Vom Underground in den Mainstream
Der Musikjournalist Bjørn Schaeffner ist Gründer des Vereins «ClubCultureCH», der die Geschichte der Schweizer Clubkultur aufarbeitet. Er sagt, der breite Einsatz für die Street Parade 1994 habe die Veranstaltung nachhaltig verändert. «Die Medien von links bis rechts, von der NZZ bis zur WOZ, stellten sich auf die Seite der Organisatoren.»
Das habe der Street Parade sehr viel Öffentlichkeit beschert. «Es war ein Wendepunkt, denn 1995 war die Street Parade zum ersten Mal ziemlich gross, mit etwa 120’000 Teilnehmenden.» Offiziell gilt die Technoparade übrigens weiterhin als Demonstration.
Mit der Grösse der Parade wird die Infrastruktur professionalisiert. Auch der Drogenkonsum wird angegangen: So wird das Konzept des Drug-Checkings aus dem Ausland übernommen. Drogen-Beratungsstellen wie die «Ecstasy-Hotline» geben den ravenden Parade-Gästen Auskunft.
Musik für Teenies bis Gruftis
Jedes Jahr strömen mehr Menschen an die Street Parade – bis im Jahr 2001 zum ersten Mal die Marke von einer Million Teilnehmerinnen und Teilnehmern geknackt wird. Damit ist sie erstmals gleichauf mit der Berliner Love Parade, die Gründer Marek Krynski zur ersten Street Parade inspirierte.
Auch die Musik verändert sich über die Jahre. Sie öffnet sich dem Mainstream, wird massentauglich. Sie soll «ein möglichst grosses Publikum ansprechen, vom Teenie bis zum Früh-Grufti», wie es eine Radiojournalistin damals formulierte.
So klingt die offizielle Hymne der Street Parade im Jahr 2000 «Believe in Love» ganz und gar nicht mehr nach Underground.
Vorwurf: Zu kommerziell
Was einmal eine Veranstaltung für Aussenseiter war, zieht plötzlich Sponsoren an. Bis heute zählen sie zu den wichtigsten Einnahmequellen für den nicht gewinnorientierten «Verein Street Parade Zürich». Zwar treten selbst berühmte DJs kostenlos auf. Die Ausgaben für die Organisation sind dennoch immens.
Dieses Jahr etwa kostet die Parade 2.8 Millionen Franken . Dank Sponsoren soll die Technoparty auf eine schwarze Null hinauslaufen. Die Teilnahme ist und bleibt gratis.
Trotzdem hört man immer wieder den Vorwurf, die Street Parade sei zu kommerziell und habe sich zu sehr von der ursprünglichen Idee entfernt.
Musikjournalist Bjørn Schaeffner sagt dazu: «Den ursprünglichen Esprit findet man nicht mehr an der Parade, sondern an kleinen, alternativen Partys neben der Street Parade. Dort lebt dieser Spirit noch heute weiter – 30 Jahre später.»